Kapitel 2
Sterne und Galaxien

1   Räumliche Strukturen im Universum

Zusammenfassung von Teilen des Buchkapitels:

Die ersten   400 000   Jahre des Universums haben wir nun hinter uns. Auf unserem   13 700   Kilometer langen Zeitpfad, bei dem ein Meter einem Jahrtausend entspricht, sind wir also 400 Meter vorangekommen, also noch nicht einmal einen halben Kilometer.

Der Raum ist mit einem dünnen Gas aus etwa 3/4 Gewichtsanteilen Wasserstoff und etwa 1/4 Gewichtsanteilen Helium angefüllt. Neben diesem dünnen Wasserstoff-Helium-Gas und der elektromagnetischen Wärmestrahlung (Photonen, kosmische Hintergrundstrahlung) gibt es noch zwei weitere Materiekomponenten: die geisterhaften masselosen Neutrinos und die schweren massereichen Teilchen der dunklen Materie. Dabei ist die dunkle Materie die klar dominierende Materieform, wenn es um die Gravitation geht! Die dunkle Energie spielt noch keine Rolle.

Die Gravitation bewirkt nun, dass sich etwas dichtere Materiebereiche weiter zusammenziehen wollen. In den ersten knapp   380 000   Jahren nach dem Urknall kann sich jedoch das heiße elektrisch geladene Plasma nicht allzu weit lokal zusammenziehen, da es vom Strahlungsdruck der Wärmestrahlung wieder auseinandergetrieben wird. Das Plasma oszilliert, was zu dem charakteristischen Temperaturmuster führt, das wir heute am Himmel in der kosmischen Hintergrundstrahlung beobachten können.

Da die dunkle Materie von der intensiven Wärmestrahlung praktisch nichts bemerkt, kann sie sich -- anders als das Wasserstoff-Helium-Plasma -- unter dem Einfluss der Gravitation zunehmend weiter lokal verdichten, auch bereits in den ersten   400 000   Jahren nach dem Urknall. Die dichteren Materiebereiche stemmen sich damit lokal der allgemeinen Raumausdehnung entgegen und beginnen, sich zusammenzuziehen. Die Dichteschwankungen in der dunklen Materie betragen   400 000   Jahre nach dem Urknall etwa ein zehntel Promille. Die dichteren Bereiche der dunklen Materie geben gleichsam die Gravitationszentren für das neutrale Wasserstoff-Helium-Gas vor. Man kann sich vorstellen, wie das Wasserstoff-Helium-Gas der sich weiter verdichtenden dunklen Materie hinterher strömt und sich ebenfalls zunehmend lokal verdichtet.

Die Verdichtung der Materie ist ein Prozess, der sich selbst verstärkt: Je mehr sich die Materie lokal verdichtet, umso größer werden die Dichteunterschiede zwischen dichten und dünnen Raumbereichen, und umso ausgeprägter wird die Gravitationsanziehung hin zu den dichteren Bereichen, so dass sich noch mehr Materie noch schneller dort ansammelt.

Man kann diesen sich selbst verstärkenden Verdichtungsprozess auf Computern simulieren und das Ergebnis nach 13,7 Milliarden Jahren mit der heutigen Materieverteilung im Universum vergleichen. So kann man beispielsweise überprüfen, ob die anfänglichen geringen Dichteschwankungen überhaupt ausreichen, um gegen den Trend der allgemeinen Raumexpansion eine genügend starke Verklumpung der Materie zu bewirken. Man kann auch untersuchen, ob man die dunkle Materie überhaupt braucht, um die heute beobachtete Materieverteilung zu erklären. Falls man sie in den Computersimulationen wirklich benötigt, so ist das ein starker Hinweis (neben vielen anderen), dass dunkle Materie tatsächlich existiert.

Viele Forschungsgruppen haben solche Simulationen durchgeführt, und die Berechnungen werden ständig weiter verfeinert und verbessert. Es ergibt sich insgesamt heute ein konsistentes Bild. Die heute beobachtete Verteilung der Materie im Weltraum passt gut zu den anfänglichen Dichteschwankungen, wie man sie in der kosmischen Hintergrundstrahlung sieht. Dieses konsistente Bild ergibt sich allerdings nur, wenn man die dunkle Materie berücksichtigt, da sonst die Gravitation nicht ausreicht, die Materie genügend stark zusammenzuballen.

Schauen wir uns ein Beipiel für eine im Computer simulierte Zusammenballung der Materie an (die Bilder stammen vom Center for Cosmological Physics der University of Chicago, speziell von der Webseite Formation of the large-scale structure in the Universe: filaments ):

z=30 z=10 z=5
z=4 z=3 z=2
z=1 z=0.5 z=0
Simulations were performed at the National Center for Supercomputer Applications
by Andrey Kravtsov (The University of Chicago) and Anatoly Klypin (New Mexico State University).
Visualizations by Andrey Kravtsov.
Die Bilder wurden verwendet gemäß der Aussage auf der Quellseite http://cosmicweb.uchicago.edu/filaments.html (25.12.2008):
You can use this material if you include the proper credit (credit wie oben angegeben).

Dabei ist jeweils der sogenannte z-Parameter angegeben, der ein Maß für die Ausdehnung und damit für das Alter des Universums ist. Im Detail gibt z an, wie groß die relative Rotverschiebung von Strahlung (z.B. Licht) aufgrund der Ausdehnung des Raumes ist. Beispielsweise bedeutet   z = 0,2   , dass die Abweichung von beobachteter und ausgesendeter Wellenlänge 20 Prozent der ausgesendeten Wellenlänge beträgt. Der Raum und mit ihr die Wellenlänge hat sich also seit dem Aussenden um den Faktor 1,2 ausgedehnt, oder anders herum, er war beim Aussenden um den Skalenfaktor   a = 1 / 1,2   kleiner als heute. Es ist also

  1/a   =   z + 1

In den obigen Bildern müssen wir also zu den z-Werten einfach nur eine Eins hinzuaddieren und wir wissen, um welchen Faktor das Universum (bzw. der dargestellte Raumwürfel) seitdem gewachsen ist.

Die zu den einzelnen z-Werten gehörenden Altersangaben findet man z.B. in Michael A. Strauss: Der beschleunigte Kosmos, Teil II: Galaktische Wände und Blasen, Spektrum der Wissenschaft, Juni 2004 -- bei   z = 3   war das Universum beispielsweise nur 1/8 so alt wie heute. Der Würfel im ersten Bild links oben ( z = 27,36 ) hat eine Kantenlänge von etwa 5 Millionen Lichtjahren, der im letzten Bild rechts unten ( z = 0, also heute) dagegen eine Kantenlänge von 140 Millionen Lichtjahren, also fast das Dreißigfache. Das entspricht der zugehörigen fortlaufenden Expansion des Universums -- eigentlich müsste man also den Würfel links oben fast dreißig mal kleiner darstellen als den rechts unten. Eine Galaxie wie unsere Milchstraße wäre also mit ihrer Ausdehnung von nur einhunderttausen Lichtjahren nur ein Punkt im letzten Bild.

Im erste Bild links oben ist das Universum erst 120 Millionen Jahre alt, hat also weniger als 1% seines heutigen Alters. Die Schwankungen in der Materiedichte sind erst schwach ausgeprägt und kaum sichtbar. Im Alter von 490 Millionen Jahren (Bild rechts davon mit z = 9,83 ) haben sich dichtere Regionen bereits stärker zusammengeballt. Diese ersten hellen Klumpen haben ungefähr die Größe und Masse von Galaxien, d.h. die die ersten Galaxien sind entstanden.

Auf den weiteren Bildern sieht man, wie die Schwerkraft die Materie in gigantischen Filamenten zusammenzieht, also in einer schaumigen, netzartigen Struktur mit großen Leerräumen (sogenannten Voids) dazwischen. Diese Filamente treten im Lauf der Zeit immer deutlicher hervor. Auf den letzten beiden Bildern rechts unten allerdings verändern sie sich kaum noch, da die zunehmende (nun sogar beschleunigte) Expansion des Raumes dies verhindert (die Würfelgröße wächst ja ständig an, was hier nicht dargestellt ist).

In Spektrum der Wissenschaft (November 2005) auf S.12 den Artikel von Markus Pössel: Der Kosmos im Computer. Die Details zu der Simulation mit tollen Bildern und Filmen findet man auch im Internet unter http://www.mpa-garching.mpg.de/galform/presse/. Hier wird eine aufwändige Computer-Simulation der großräumigen Entwicklung unseres Universums vorgestellt: die Millenium-Simulation des Virgo-Konsortiums unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching bei München.


Simulierte heutige Massendichte (Millenium-Simulation, z=0). Die Breite des Bildes entspricht ungefähr 125 Mpc oder 400 Millionen Lichtjahren.
Quelle: Wikimedia Commons File:AstroMSseqF 063aL (18135101).jpg, Quelle dort: http://www.flickr.com/photos/68744821@N00/18135101/, Urheber: Rich Murray from Santa Fe, New Mexico 87505, USA, auf Wikimedia veröffentlicht unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert).


Nach den Computersimulationen sollte also heute die Materie im Universum entlang riesiger netzartiger Filamente konzentriert sein. Dazwischen gibt es gigantische Leerräume (Voids), in denen man kaum Materie findet. Die Materieverteilung hat gleichsam eine schaumige Struktur mit Blasen (Voids) von der Größenordnung von einigen 100 Millionen Lichtjahren (also mehr als die 1000 -fache Ausdehnung der Milchstraße). Entlang der Blasenränder konzentrieren sich die Galaxien wie Staubkörnchen zu langen Fäden und Verdickungen, die dann Galaxienhaufen entsprechen. Galaxienhaufen sind die größten Strukturen im Universum, die noch gravitativ gebunden sind und die deshalb nicht von der allgemeinen Raumexpansion auseinandergezogen werden. Ihre Größe liegt im Bereich von einigen Millionen Lichtjahren. Mehr dazu im nächsten Kapitel.

Es ist in den letzten Jahrzehnten gelungen, detaillierte Karten von der Verteilung der Galaxien im Universum zu erstellen, und diese Karten werden ständig weiter verbessert. Sie zeigen genau die vermutete Verteilung der Galaxien, so wie die Computersimulationen voraussagen. Hier ist ein Beispiel für eine solche Galaxien-Verteilungskarten:



Rekonstruktion der Galaxiendichte nach dem 2dF Galaxy Redshift Survey.
Quelle: Wikipedia File:2dfdtfe.gif, Autor: Willem Schaap, demnach vom Autor freigegeben nach Public Domain.


Wie weit können wir heute überhaupt in das Universum hinausschauen? Nun, im Prinzip bis zur Entstehung der kosmischen Hintergrundstrahlung etwa 400000 Jahre nach dem Urknall, d.h. am Himmel sehen wir in der kosmischen Hintergrundstrahlung das damals noch 3000 Kelvin heiße Wasserstoff-Helium-Plasma kurz vor seiner Umwandlung zu neutralem Gas. Der z-Faktor beträgt dafür ungefähr 1000, d.h. seitdem hat sich das Universum etwa um den Faktor 1000 ausgedehnt und die Temperatur dieser Wärmestrahlung ist um ungefähr den Faktor 1000 gesunken.

Für die Ermittlung von Galaxienverteilungen sind jedoch einzelne Galxien interessant und kein diffuses Plasma. Bis zu welcher maximalen Entfernung können wir heute also einzelne Objekte im Universum sehen?

Bis Ende 2005 war das am weitesten entfernte Objekt, das bis dahin gefunden wurde, ein Quasar mit einer Rotverschiebung von   z = 6,4   :



Der rote Punkt in diesem Bild (Pfeil) ist der am weitesten entfernte Quasar, der bis Ende 2005 entdeckt wurde.
Er hat eine Rotverschiebung von   z = 6,4  .
Quelle: Sloan Digital Sky Survey,
Bildseite: http://www.sdss.org/news/releases/20030109.quasar.html,
Image Gallerie http://www.sdss.org/gallery/gal_data.html (Redshift 6.4 quasar),
verwendet gemäß der SDSS image use policy (non-commercial purpose).


Im Jahr 2010 wurde dann sogar eine Galaxie gefunden, die ihr Licht vor gut 13 Milliarden Jahren auf die Reise zu uns geschickt hat. Damals war das Universum nur etwa 600 Millionen Jahre alt. Die Rotverschiebung dieser Galaxie beträgt   z = 8,6   . Mehr dazu siehe z.B. ScienceDaily (Oct. 20, 2010) oder eso1041de - Pressemitteilung Wissenschaft.

Und wie das mit solchen Rekorden zwangsläufig so ist: Im Januar 2011 wurde in Nature 469: A candidate redshift z = 10 galaxy and rapid changes in that population at an age of 500 Myr die Entdeckung einer Galaxie mit einer Rotverschiebung von z = 10 (also etwa 500 Millionen Jahre nach dem Urknall) in den Hubble Ultra Deep Field (HUDF09) Daten bekannt gegeben. Man sieht in den Daten, dass die Sternentstehungsrate zwischen 500 und 700 Millionen Jahre nach dem Urknall und mit ihr die Bildung von Galaxien stark ansteigt (um etwa einen Faktor 10). Wir dürfen gespannt sein, was das geplante sehr leistungsfähige James Webb Space Telescope noch entdecken wird, denn die ersten Galaxien dürften sich etwa 200 bis 300 Millionen Jahre nach dem Urknall gebildet haben. Siehe auch physicsworld.com: Hubble catches a glimpse of things to come.

Wie mag wohl der Himmel aussehen, wenn man mit den stärksten Teleskopen der Welt versucht, so weit wie möglich in ihn hineinzuschauen und noch extrem weit entfernte Galaxien zu erblicken? Genau das hat man im Jahr 1995 mit dem Hubble-Space-Teleskop 10 Tage lang gemacht. Hier ist das Ergebnis ( siehe http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1996/01/ ):


Hubble Deep Field: Ein sehr tiefer Blick in den Himmel mit dem Hubble Space Teleskop aus dem Jahre 1995 (Belichtungszeit: 10 Tage). Der gezeigte Himmelsausschnitt hat ungefähr die Größe einer Euromünze, die man aus 20 Meter Entfernung betrachtet. In diesem kleinen Ausschnitt lassen sich mindestens 1500 Galaxien nachweisen, die sich in verschiedenen Entwicklungsstadien befinden, denn wir sehen sie umso jünger, je weiter sie entfernt sind. Die entferntesten Galaxien in diesem Bild sehen wir, wie sie for mehr als 10 Milliarden Jahren waren (das Universum war damals weniger als ein Viertel so alt wie heute).
Credit: R. Williams (STScI), the Hubble Deep Field Team and NASA
Bild siehe auch Wikipedia Commons und http://hubblesite.org/newscenter/archive/1996/01/image/a, Public Domain.


Hier noch eine weitere schöne Darstellung zu diesem Thema:

    Looking Back in Time    

           

  Eine Bilderfolge aus dem Film The Universe (NASA, WMAP):

  • Bild 1:

    Im ersten Bild sehen wir die kleinen Temperaturschwankungen (dargestellt durch verschiedene Farben) in der Materie etwa 400000 Jahre nach dem Urknall. Den Temperaturschwankungen entsprechen kleine Dichteschwankungen.

  • Bild 2:

    Das zweite Bild zeigt, wie sich die Materie unter dem Einfluss der Gravitation zusammenballt. Es entstehen Filamente verdichteter Materie.

  • Bild 3:

    Im dritten Bild sehen wir die ersten Sterne, etwa 200 Millionen Jahre nach dem Urknall. Das Wasserstoff-Helium-Gas hat sich in ihnen so stark verdichtet und aufgeheizt, dass die Fusion von Wasserstoff zu Helium starten kann. Die dabei entstehende Hitze verhindert ein weiteres Kollabieren der Sternmaterie.

  • Bild 4:

    Bild vier zeigt die Entstehung weiterer Sterne. Ketten von Galaxien formieren sich entlang der Filamente, die wir bereits in Bild 2 sehen konnten.

  • Bild 5:

    In Bild fünf sehen wir schließlich das Universum heute, in dem Aber-Milliarden von Sternen und Galaxien sich dort versammelt haben, wo einst die ersten Materieverdichtungen den Keim dafür gelegt hatten.

Die Bilder stammen von der NASA: WMAP Related Media Resources, http://map.gsfc.nasa.gov/m_or/m_or3.html
Leider konnte ich die Quelle für die Bilderfolge nicht mehr genau rekonstruieren. Bild 3 findet man als Public Domain in Wikipedia Commons sowie unter http://www.nasa.gov/images/content/140510main_WMAP_first_stars_lgweb.jpg (Credit: NASA/WMAP Science Team).

Zuerst entstehen kleine, massearme Galaxien, später dann massivere Galaxien und noch später dann Gruppen und große Haufen von Galaxien. Dabei können beispielsweise kleinere Galaxien zu größeren verschmelzen, so wie in unserer Zeit gerade die Sagittarius-Zwerggalaxie mit unserer Milchstraße verschmilzt (mehr dazu im nächsten Kapitel). Insgesamt verändern sich Galaxien im Lauf der Zeit -- sie verändern ihre Form, die Entstehungsrate neuer Sterne ändert sich, sie kollidieren und verschmelzen miteinander. Beobachtungen weit entfernter Galaxien wie beispielsweise in der Hubble-Deep-Field-Aufnahme (siehe weiter oben) zeigen genau solche Prozesse. Mehr dazu siehe auch Wikipedia: Galaxy formation and evolution.

Es ist schon beeindruckend, mit welcher Genauigkeit man heute die Entwicklung der Materieverteilung in unserem Universum sowohl berechnen als auch beobachten kann. Besonders beeindruckend ist dabei sicher, dass die gigantischen netzartigen Filamente, entlang derer sich die Galaxien und Galaxienhaufen im Universum versammeln, ihren Ursprung letztlich in den mikroskopischen quantenmechanischen Fluktuationen des Inflatonfeldes haben, die durch die inflationäre Expansion und die weitere Ausdehnung des Universums so enorm vergrößert wurden, dass sie nun Strukturen von 100 Millionen Lichtjahren Größe am Himmel bilden. Brian Greene schreibt in seinem Buch Der Stoff, aus dem der Kosmos ist auf S. 349 dazu:



Literatur zu dem Thema:


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last modified on 04 March 2012