Kapitel 1
Jugendjahre und das Prinzip der kleinsten Wirkung

1  Kindheit, Highschool und MIT

Zusammenfassung des Buchkapitels:



Zusatzinformationen:

a) Die Lagrange-Methode
b) Quantenmechanische Wellengleichungen



a) Die Lagrange-Methode

Im Jahr 1687 hatte Isaac Newton sein berühmtes Bewegungsgesetz   Kraft = Masse · Beschleunigung   oder kurz   F = m · a   aufgestellt und damit die Grundlagen der Mechanik gelegt. Dem französischen Mathematiker Joseph-Louis Lagrange gelang es rund 100 Jahre später, Newtons Bewegungsgesetz so umzuformulieren, dass ein allgemeines Verfahren zur Aufstellung von Bewegungsgleichungen in beliebigen Koordinaten daraus wurde – die sogenannte Lagrange-Methode. Sie funktioniert so:

Führe zunächst zeitabhängige Koordinaten ein, die an die Bewegung angepasst sind. Bei der Bewegung eines Planeten um die Sonne wären das der Abstand r zur Sonne und der Winkel φ, der die aktuelle Lage der Verbindungslinie zwischen Planet und Sonne kennzeichnet (siehe Abbildung unten). Die Geschwindigkeiten, mit denen sich r und φ zeitlich ändern, nennen wir vr und vφ, d.h.   vr = dr/dt   ist die radiale Geschwindigkeitskomponente, mit der sich der Abstand zur Sonne ändert, und   vφ = dφ/dt   ist die Winkelgeschwindigkeit der Bewegung um die Sonne herum (oft bezeichnet man die Winkelgeschwindigkeit auch mit dem Buchstaben ω). Auch diese Geschwindigkeiten können beide zeitabhängig sein.

Drücke nun die kinetische Energie T und die potentielle Energie V des Planeten durch diese Koordinaten und Geschwindigkeiten aus (siehe Grafik) und bilde die Differenz   L = T − V. Diese Differenz L nennt man auch Lagrangefunktion – sie wird uns bei der Wirkung wiederbegegnen.



Bewegung eines Planeten mit Masse m um die Sonne (Masse M). G ist die Gravitationskonstante.


Wie man zeigen kann, lauten die Bewegungsgleichungen (Lagrangegleichungen) für die Planetenbewegung folgendermaßen:

Man leitet also für jede Koordinate die Lagrangefunktion L erst nach der Koordinaten-Geschwindigkeit und dann nach der Zeit t ab und setzt anschließend das Ergebnis gleich der Ableitung von L nach der zugehörigen Koordinate. Dieses einfache Schema funktioniert bei jeder Koordinate gleich und liefert immer die richtigen Gleichungen – nicht nur bei der Planetenbewegung. Man muss nur passende Koordinaten wählen und die richtige Lagrange-Funktion in diesen Koordinaten aufstellen, und schon folgt der Rest vollautomatisch. Wenn Newton das schon gewusst hätte!

Führen wir die Rechnung für die Planeten mit der Lagrangefunktion

L   =   m (vr2 + (r vφ)2) / 2   +   G m M / r

zur Übung einmal konkret aus:

In der oberen Lagrangegleichung müssen wir L dabei zunächst nach vr ableiten, was   m vr   ergibt. Ableiten nach der Zeit ergibt dann   m dvr/dt   . Das wäre schon mal die linke Seite der oberen Gleichung. Für die rechte Seite müssen wir L nach dem Abstand r ableiten, was   m r vφ2   −   G m M / r2   ergibt. Die obere Lagrangegleichung lautet also:

m dvr/dt   =   m r vφ2   −   G m M / r2

Die Gleichung beschreibt, wie sich die radiale Geschwindigkeitskomponente vr je nach aktuellem Abstand r von der Sonne und je nach momentaner Winkelgeschwindigkeit vφ zeitlich ändert. Der erste Term   m r vφ2   entspricht dabei der Zentrifugalkraft, die den Planeten nach außen treibt, während der zweite Term   − G m M / r2   die Anziehungskraft der Sonne repräsentiert.

Nun zur unteren Lagrangegleichung: Wir leiten für die linke Seite L nach der Winkelgeschwindigkeit vφ ab und erhalten   m r2 vφ   . Ableitung nach der Zeit ergibt   d/dt (m r2 vφ)   , was wir erst einmal so stehen lassen. Für die rechte Seite müssen wir L nach dem Winkel φ ableiten. Da L diesen Winkel gar nicht enthält, ist die Ableitung nach dem Winkel und damit die rechte Seite gleich Null und wir erhalten

d/dt (m r2 vφ)   =   0

Die Größe   m r2 vφ   ist also zeitlich konstant − sie entspricht gerade dem Bahndrehimpuls des Planeten auf seiner Rundreise um die Sonne. Daraus kann man direkt Keplers zweites Gesetz (den Flächensatz) ableiten, nach dem die Verbindungslinie zwischen dem Planeten und der Sonne in gleichen Zeiten gleich große Flächen überstreicht. Johannes Kepler fand dieses Gesetz bereits im Jahr 1609, also vor über 400 Jahren; das es mit der Drehimpulserhaltung zusammenhängt, wusste er allerdings noch nicht. Auch wir haben dieses Gesetz mithilfe der Lagrange-Methode gewissermaßen vollautomatisch erhalten, ohne zuvor irgendetwas über Drehimpulse gesagt zu haben − man beginnt zu ahnen, warum Feynman in seinem Studium diese sehr schematische Vorgehensweise nicht so recht mochte. Feynman wollte immer verstehen, was die Formeln bedeuten, und nicht einfach eine Rechenmethode gedankenlos abspulen.



b) Quantenmechanische Wellengleichungen

Um quantenmechanische Wellengleichungen zu erraten, gibt es ein einfaches Kochrezept: Man beginnt mit der Beziehung zwischen der Energie E und dem Impuls p eines Teilchens. Dann ersetzt man die Energie E durch die zeitliche Ableitung d/dt der Quantenwelle ψ und analog den Impuls p durch die räumliche Ableitung d/dx, wobei wir uns hier auf eine Raumdimension beschränken wollen. Beides versieht man noch mit dem Vorfaktor i ℏ und einem passenden Vorzeichen, wobei i die imaginäre Einheit komplexer Zahlen mit i2 = −1 ist und ℏ = h/(2π) das durch 2π geteilte Plancksche Wirkungsquantum h. Das Rezept lautet also:

Man kann sich diese Ersetzungsvorschrift plausibel machen, indem man die Ableitungen auf eine ebene Welle anwendet und die quantenmechanischen Zusammenhänge zwischen Teilchen und Welle E = h f und p = h/λ mit der Frequenz f und der Wellenlänge λ benutzt.

Bei einem Teilchen mit Masse m, das deutlich langsamer als die Lichtgeschwindigkeit c ist, gilt die nichtrelativistische Beziehung   E = p2/(2m) + V   . Der Term mit dem Impulsquadrat ist dabei die kinetische Energie, während V die potentielle Energie ist. Das Ergebnis der Ersetzung ist dann die Schrödingergleichung

Bei beliebigen Geschwindigkeiten, die auch in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit c kommen können, gilt dagegen die relativistische Gleichung   E2 = (p c)2 + (m c2)2  , wobei wir die potentielle Energie V hier zur Vereinfachung weggelassen haben. Die Ersetzungsregel ergibt dann die Klein-Gordon-Gleichung

So ungefähr dürften auch Feynman und Welton auf die Klein-Gordon-Gleichung gekommen sein. Kaum vorstellbar, dass daran etwas falsch sein soll, aber es gibt noch eine andere Möglichkeit, die zur relativistischen Dirac-Gleichung führt.

Die Dirac-Gleichung führt zur selben Energie-Impuls-Beziehung wie die Klein-Gordon-Gleichung, aber man kommt mit den ersten Ableitungen nach der Zeit und dem Raum aus. Um das zu erreichen, muss man einen mathematischen Trick anwenden: Man schreibt die Energie-Impuls-Beziehung zunächst als

E   =   α (p c)   +   β (m c2)

sodass E und p nicht quadriert werden. In dieser Formel kann man nun die Ersetzungsregel anwenden und erhält die Dirac-Gleichung für eine Raumdimension:

Damit die korrekte relativistische Energie-Impuls-Beziehung analog zur Klein-Gordon-Gleichung gilt, müssen beim Quadrieren von   E   =   α (p c)   +   β (m c2)   für α und β folgende Regeln erfüllt sein:

α2 = β2 = 1

α · β   +   β · α   =   0

Mit Zahlen geht das nicht, aber mit sogenannten Matrizen. In drei Raumdimensionen kommen noch zwei weitere α-Matrizen für die anderen Impulskomponenten hinzu, was insgesamt dazu führt, dass man vier Matrizen mit je vier Zeilen und vier Spalten benötigt, um alle Bedingungen zu erfüllen. Die Quantenwelle ψ muss dann vier Komponenten umfassen: zwei für den Spin mal zwei für positive und negative Energie, wobei die negativen Energien etwas mit Antiteilchen zu tun haben, wie wir noch sehen werden.



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last modified on 18 August 2017