Bei Spin 1/2 war unsere Vorgehensweise im vorherigen Kapitel ja recht erfolgreich. So ergaben sich Dirac- und Weyl-Gleichung fast nebenbei! Kann man das Vorgehen auch bei Spin 1 anwenden?
Man kann! Allerdings werden die Berechnungen dazu recht aufwendig, so dass ich auf die Details hier verzichten möchte und nur einige Anmerkungen machen will.
Eine detaillierte Berechnung zu Spin 1 habe ich im Internet in D. V. Ahluwalia, M. B. Johnson, T. Goldman: (J,0)+(0,j) Representation Space: Dirac-Like Construct gefunden. Die Rechnung verläuft in vielen Aspekten analog zu unserer Rechnung aus dem vorherigen Kapitel. An die Stelle der beiden Fundamentaldarstellungen \( (\frac{1}{2}, 0) \) und \( (0, \frac{1}{2}) \) treten die beiden Darstellungen \( (1, 0) \) und \( (0, 1) \) mit den zugehörigen Feldern \( \Phi_{L} \) und \( \Phi_{R} \) (statt \(\xi\) und \(\eta\)). Bei Drehungen verhalten sich diese Felder identisch zueinander, d.h. sie werden mit der Drehmatrix zu Spin 1 multipliziert. Bei Boosts dagegen verhalten sich die beiden Felder verschieden, so wie wir das von \(\xi\) und \(\eta\) ja schon kennen. Die entsprechenden D-Matrizen können wir mit den Ergebnissen aus Kapitel 4.10 ermitteln. Sie ergeben sich als analytische Fortsetzung der D-Matrizen, die wir von der Drehgruppe für Spin 1 her kennen.
So wie wir im vorherigen Kapitel die Diracgleichung hergeleitet haben, werden in den obigen Referenzen bei Spin 1 analoge Gleichungen für den 6-komponentigen Spinor \[ \Phi = \begin{pmatrix} \Phi_{R} \\ \Phi_{L} \end{pmatrix} \] hergeleitet. Anschließend werden die Felder \(\boldsymbol{E}\) und \(\boldsymbol{B}\) über \[ \Phi_{L} =: \boldsymbol{E} + i \, \boldsymbol{B} \] \[ \Phi_{R} =: \boldsymbol{E} - i \, \boldsymbol{B} \] definiert. Auch die Potentiale werden mit Hilfe von \(\Phi_{R}\) und \(\Phi_{L}\) definiert. Die Dirac-artige Gleichung für \( \Phi = (\Phi_{R}, \Phi_{L}) \) lässt sich damit so umschreiben, dass im masselosen Fall die freien Maxwell-Gleichungen entstehen.
Dazu passt gut folgende Bemerkung aus Steven Weinberg The Quantum Theory of Fields, Vol. 1, Chapter 5.6 (Seite 232): Die Darstellung \( (1, 0) + (0, 1) \) (also unser 6er-Spinor \( \Phi = (\Phi_{R}, \Phi_{L}) \)) entspricht der Darstellung durch einen antisymmetrischen 4-mal-4-Tensor \( F^{\mu \nu} \) zusammen mit einer Dualitätsbedingung. Das elektromagnetische Feld wird in der relativistischen Formulierung gerade durch so einen Feldstärke-Tensor repräsentiert (siehe Quantenfeldtheorie und Eichfelder, Kapitel 4 ).
Aus den Feldern \(\Phi_{R}\) und \(\Phi_{L}\) lässt sich also ein antisymmetrischer 4-mal-4-Tensor \( F^{\mu \nu} \) konstruieren. Der masselose Grenzfall ist hier problemlos möglich.
Weinberg zeigt in seinem Buch, dass sich aus \(\Phi_{R}\) und \(\Phi_{L}\) aber kein masseloses Vektorfeld \( A^{\mu} \) konstruieren lässt. Dem entspricht die Tatsache, dass in der Elektrodynamik das Vektorpotential \( A^{\mu} \) eine Eichfreiheit zulässt, so dass man beispielsweise bei Abwesenheit elektrischer Ladungen und Ströme immer \( A^0 = 0 \) erreichen kann, und zwar in jedem Bezugssystem (die sogenannte Strahlungseichung, siehe Quantenfeldtheorie und Eichfelder, Kapitel 4 ). Ein Objekt \( A^{\mu} \), für das immer \( A^0 = 0 \) gilt, kann aber kein Vierervektorfeld sein, das sich mit der Lorentzmatrix \( \Lambda \) transformiert.
Ich möchte darauf verzichten, hier näher ins Detail zu gehen. Wer Genaueres wissen möchte, dem möchte ich das oben erwähnte Quantenfeldtheorie-Buch von Steven Weinberg erneut ans Herz legen. Um dem interessierten Leser den Weg in dieses Standardwerk der Quantenfeldtheorie zu erleichtern, werde ich im nächsten Kapitel versuchen, einen Überblick über die wesentlichen Ideen dieses Buches zu geben.
© Jörg Resag, www.joerg-resag.de
last modified on 26 August 2023