Fassen wir kurz das letzte Kapitel noch einmal zusammen:
Da in der frühen Atmosphäre noch kein Sauerstoff und somit auch kein Ozon existierte, konnte die energiereiche UV-Strahlung der Sonne weitgehend ungehindert den Erdboden erreichen. Vermutlich gab es zudem noch häufige heftige Gewitter mit Blitzen. Man konnte in Experimenten nachweisen, dass unter diesen Bedingungen sich auf der frühen Erde komplexere organische Verbindungen wie beispielsweise Aminosäuren bilden und anreichern konnten -- die ersten Bausteine des Lebens! Die Blitze und die UV-Strahlung lieferten dabei die dazu nötige Energie.
Die Entstehung der ersten Einzeller:
Wie sich aus diesen Bausteinen schließlich die ersten lebenden Zellen entwickelt haben, ist heute noch nicht im Detail verstanden. Eine wichtige Rolle spielten vermutlich einfache sich selbst replizierende RNA-Moleküle (RNA = Ribonukleinsäure). RNA-Moleküle können wie die DNA-Moleküle (DNA = Desoxyribonukleinsäure) genetische Informationen tragen, bestehen aber anders als die DNA-Moleküle nur aus einem Strang und nicht aus einem Doppelstrang:
Chemischer Aufbau der Ribonukleinsäure (RNA) und der Desoxyribonukleinsäure (DNA)
im Vergleich.
Quelle: National Human Genome Research Institute,
Home - Educational Resources - Talking Glossary - Term - Illustration.
Copyright-Angabe dort:
All of the illustrations in the Talking Glossary of Genetics are freely
available and may be used without special permission.
RNA-Moleküle können zudem wie Enzyme wirken, also chemische Reaktionen
in Gang setzen. Womöglich entstanden so letztlich RNA-Molekülnetzwerke, die
sich selbst replizieren konnten. Man spricht von der
RNA-Welt.
Irgendwann lagerten sich schließlich einige RNA-Moleküle zu doppelsträngigen RNA-Molekülen zusammen, die sich dann zu DNA-Molekülen weiterentwickelten. Die DNA-Moleküle sind heute die wesentlichen Träger der Erbinformation in den Zellen. Es gibt aber auch heute noch Viren, die als Träger der Erbinformation RNA an Stelle von DNA nutzen. Das bekannteste Beispiel ist das AIDS-Virus HIV.
Neben der DNA spielt weiterhin die RNA eine wichtige Rolle in den Zellen:
Insgesamt ist also die RNA sicher eines der ursprünglichsten und universellsten Moleküle des Lebens. Die folgende Grafik stellt das Zusammenspiel von DNA und RNA bei der Proteinsynthese in den Ribosomen noch einmal im Überblick dar:
Überblick über die Proteinsynthese in einer Zelle mit Zellkern (also eine
eukaryotische Zelle, siehe weiter unten).
Im Zellkern (hellblau) wird die Erbinformation der DNA in einem komplexen Vorgang
auf RNA-Stränge kopiert
(Transkription).
Diese RNA wird teilweise noch umgebaut -- heraus kommt die Boten-RNA (mRNA, rot),
die die Erbinformation vom Zellkern in die Ribosomen (purpur) trägt.
Die Ribosomen lesen schrittweise die Erbinformation
von der Boten-RNA ab und bauen entsprechende Aminosäuren zu einem Strang (einem Protein) zusammen.
Die Aminosäuren werden dabei von der Transfer-RNA (tRNA) herantransportiert.
Bei dieser Transfer-RNA bilden je 3 Basen eine Art Code für die herantransportierte
Aminosäure.
Diese 3 Basen müssen zu den 3 Basen der Boten-RNA passen, die vom Ribosom gerade abgelesen werden.
Auf diese Weise bestimmt die Abfolge der Basen auf der Boten-RNA die Abfolge der Aminosäuren
im Protein, wobei je 3 Basen eine Aminosäure codieren.
Der entstande Proteinstrang faltet sich nun zu einem dreidimimensionalen
Proteinmolekül, das oft noch weiter bearbeitet wird, z.B. indem noch spezielle Moleküle
(orange) eingebunden werden.
Quelle:
Wikimedia Commons File:Proteinsynthesis.png,
work of the United States Federal Government, demnach Public Domain.
DNA, RNA und Proteine bilden in Zellen sehr komplexe Netzwerke mit vielen ineinander-greifenden und eng verflochtenen Funktionen. Den Beginn des Lebens kann man sich als Evolution solcher molekularer Netzwerke vorstellen. Eine riesige Maschinerie komplexer Moleküle ist in einer Zelle am Werk, um ihren Fortbestand und ihre Vermehrung zu sichern, und wir beginnen gerade erst, dieses molekulare Netzwerk in Ansätzen zu verstehen. Man könnte es auch so ausdrücken: eine Zelle ist Nanotechnologie vom Feinsten, weit jenseits unserer heutigen technischen Möglichkeiten!
Der Stoffwechsel dieser zellartigen Strukturen musste zunächst noch ohne Sauerstoff auskommen, da es diesen in der Uratmosphäre noch nicht gab. Ein Beispiel für solche urtümliche Biotope bieten die sogenannten Schwarzen Rauchern (Black Smoker) -- heiße Quellen am Grund der Tiefsee.
Man vermutet heute, dass das erste mikrobiologische Leben vor etwa 3,6 bis 4 Milliarden Jahren entstand,
also 0,6 bis 1 Milliarde Jahre nach der Entstehung der Erde.
Grob kann man sagen: schon bald, nachdem es flüssiges Wasser gab, entwickelte sich auch das erste Leben!
Sicher ist, dass es vor 3,5 Milliarden Jahren bereits Cyanobakterien gab. Cyanobakterien können nämlich Calciumcarbonat (Kalk) bilden. So entstanden sogenannte Stromatolite. Das sind (zumeist) steinartige, pilzförmige Strukturen, die aus den von den Bakterien gebildeten Kalkschichten und eingeschlossenen Sedimenten in flachen Gewässern entstehen. Die Sedimentpartikel werden dabei gleichsam durch den erzeugten Kalk einzementiert. Man findet heute bis zu 3,5-Milliarden-Jahre alte Stromatolite.
Cyanobakterien gehören zur Domäne der Bakterien, wobei sie als einzige
Bakterien die Photosynthese beherrschen und damit aus Sonnenlicht,
Wasser und Kohlendioxid organische Stoffe wie Zuckermoleküle aufbauen können.
Vermutlich haben sie die Photosynthese sogar erfunden.
Sie besitzen noch keinen echten Zellkern -- solche Zellen ohne Zellkern bezeichnet man
auch als Prokaryoten.
Der Stammbaum des Lebens Teil 1: Prokaryoten (Bakterien und Archäen):
Einen ersten Eindruck vom Stammbaum des Lebens gibt die folgende Grafik:
Zuerst entstanden Einzeller ohne Zellkern: die sogenannten Prokaryoten.
Früher war man der Meinung, die Prokaryoten wären
eine relativ gleichartige Gruppe von Lebewesen -- man sprach auch einfach von
Bakterien. Später, auch mit Hilfe der Genanalyse, stellte man dann aber fest,
dass man diese Einzeller in zwei unterschiedliche Domänen (Reiche) aufteilen sollte:
In (eigentliche) Bakterien (Bacteria) und in die sogenannten Archäen (Archaea).
Später entwickelten sich dann die Zellen mit Zellkern: die sogenannten Eukaryoten (Eukaryota),
die neben den Bakterien und den Archäen die dritte Domäne der Lebewesen bilden.
Zu den Eukaryoten gehören später alle Pflanzen (gehören mit den
Grünalgen zu den Chloroplastida), Tiere (Animalia) und Pilze (Fungi).
Die einzelligen Eukaryoten bezeichnet man auch manchmal als Protisten (Protista).
Da Prokaryoten keinen Zellkern zur Aufbewahrung der DNA besitzen, liegt die DNA frei im Zellinneren vor, allerdings zum Teil in einem engen Raum zusammengedrängt: dem Kernäquivalent, auch Nucleoid genannt. Häufig befindet sich im Zellinneren weitere DNA in Form von ringförmigen Molekülen: den Plasmiden. Prokaryoten enthalten keine Organellen wie Chloroplasten, Mitochondrien, Golgi-Apparat, Vakuolen und endoplasmatisches Retikulum. All diese Organellen gibt es erst später bei den Eukaryoten. Die Ribosomen -- die Proteinfabriken der Zelle -- sind allerdings auch bei Prokaryoten bereits vorhanden. Offenbar gehören Ribosomen zur Grundausstattung des Lebens!
Aufbau eines Prokaryoten am Beispiel eines
Bakteriums.
Quelle:
Wikimedia Commons File:Prokaryote cell diagram de-2.svg,
vom Autor Mariana Ruiz Villarreal
dort freigegeben (public domain).
Die beiden Prokaryoten-Reiche der Bakterien und Archäen weisen einige Unterschiede auf, die allerdings oft nicht direkt offensichtlich sind, sondern die in der Struktur des biochemischen Netzwerks verborgen liegen.
Archäen sind mit etwas über 200 Arten oft (aber nicht nur) in extremen Lebensräumen anzutreffen, z.B. in über 80 Grad Celsius heißem oder sehr saurem oder sehr salzigem Wasser.
Zu den Bakterien gehören die Cyanobakterien, die wir oben bereits kennengelernt haben. Insgesamt können Lebensweise und Stoffwechsel der Bakterien sehr verschieden sein. Manche Bakterien benötigen Sauerstoff, der wiederum für andere Bakterien giftig ist. Cyanobakterien betreiben Photosynthese, während andere Bakterien auf Nahrung wie Milchzucker oder Traubenzucker angewiesen sind. Es gibt sogar Bakterien, die sich von Wasserstoff oder Schwefelwasserstoff ernähren.
Die Fähigkeit, durch Photosynthese Sauerstoff zu erzeugen, hat unsere Erde im Lauf der Zeit zunehmend geprägt. Der erste Sauerstoff wurde von Cyanobakterien bereits vor etwa 3,5 Milliarden Jahren erzeugt.
Zunächst wurde aber dieser Sauerstoff sofort wieder verbraucht, insbesondere bei der Oxidation von im Meerwasser gelösten zweiwertigen Eisensalzen. Dabei entstanden schwer löslichen dreiwertige Eisensalze, die als Sediment zu Boden sanken. Auf diese Weise bildeten sich vor etwa 2,5 bis 1,8 Milliarden Jahren die sogenannten Bändererze, die Mächtigkeiten von 50 bis 600 Metern aufweisen.
Vor etwa 1,8 Milliarden Jahren war dann der größte Teil der zweiwertigen Eisensalze oxidiert,
sodass schließlich doch Sauerstoff übrig blieb und sich im Lauf der Zeit
in der Erdatmosphäre anreicherte. Für die meisten Einzeller wra dieser Sauerstoff zunächst giftig (Sauerstoffkatastrophe).
Dann entstanden die ersten Einzeller, für die Sauerstoff nicht nur ungiftig war,
sondern die ihn sogar zur Energiegewinnung nutzen konnten. Aus diesen Bakterien
entstanden schließlich die Mitochondrien der Eukaryoten.
Der Stammbaum des Lebens Teil 2: Eukaryoten
Vor etwa 1,4 bis 2 Milliarden Jahren entstand die dritte Domäne des Lebens: die Eukaryoten. Eukaryotenzellen sind sehr viel größer als die zellen von Bakterien oder Archäen. Sie besitzen einen Zellkern für ihre DNA sowie verschiedene Organellen.
Aufbau einer typischen eukaryotischen Tierzelle.
Quelle:
Wikimedia Commons File:Animal cell structure de.svg,
vom Autor Mariana Ruiz Villarreal dort freigegeben (Public Domain).
Hier eine Kurzübersicht über einige Organellen und andere zellinterne Strukturen:
Man glaubt heute, dass die Eukaryoten dadurch entstanden sind, dass sich bestimmte Amöben-artige Bakterien oder Archaeen andere Bakterien oder Archaeen einverleibt haben, ohne diese anschließend zu verdauen. Stattdessen nutzt die Wirtszelle bestimmte Eigenschaften ihrer einverleibten Gäste, und diese genießen die Versorgung und den Schutz der Wirtszelle. So etwas nennt man Symbiose -- daher spricht man auch von der Endosymbiontentheorie. Die Organellen Chloroplasten und Mitochondrien der Eukaryoten sind nach dieser Theorie nichts Anderes als einverleibte andere prokaryotische Zellen, die dann irgendwann ihre Eigenständigkeit verloren haben. Sehr vieles spricht heute für diese Vorstellung, so dass sie allgemein akzeptiert wird!
Schauen wir uns als Erstes die Mitochondrien an. Sie waren vermutlich einst aerobe (also auf Sauerstoff angewiesene) Bakterien. Entsprechend ist die Hauptfunktion des Mitochondriums in einer eukaryotischen Zelle, bei der Zellatmung mit Hilfe von Sauerstoff die universelle Energiewährung der Zelle herzustellen: ATP (Adenosin-Triphosphat). Mitochondrien vermehren sich eigenständig durch Teilung innerhalb der Wirtszelle und werden dann bei der Teilung der Wirtszelle auf die beiden Tochterzellen verteilt. Bei sich geschlechtlich vermehrenden Eukaryoten, also auch bei uns Menschen, stammen die Mitochondrien immer aus der Eizelle der Mutter. Daher kann man mit ihrer Hilfe sehr gut mütterliche Verwandtschaftslinien nachvollziehen.
Auch die Chloroplasten sind durch Einverleiben von bestimmten Bakterien entstanden: den uns mittlerweile gut bekannten Cyanobakterien bzw. deren Vorfahren.
Erst vor etwa 650 bis 570 Millionen Jahren sind die ersten mehrzelligen Tiere, Pflanzen und Pilze
schrittweise aus kleinen Zellkolonien entstanden.
Schneeball Erde und mehrzelliges Leben:
Mehrzellige Eukaryoten konnten sich vermutlich erst ausbreiten, nachdem unsere Erde eine Reihe gigantischer Katastrophen überstanden hatte: mehrere globale Eiszeiten.
Wahrscheinlich ist unsere Erde nach der (noch etwas umstrittenen) Snowball-Earth-Theorie im Zeitraum vor 750 bis 580 Millionen Jahren zwei bis vier Mal komplett oder fast komplett zugefroren. Selbst die tropischen Ozeane waren ganz oder weitgehend von einer Kilometer-dicken Eisschicht bedeckt, und die Durchschnittstemperatur auf der Erde sank möglicherweise auf bis zu minus 40 Grad Celsius. Solche Eiszeiten hat es seitdem in diesem Ausmaß nie wieder auf der Erde gegeben -- die Eiszeiten in neuerer Zeit, als Mammuts und die ersten Menschen die Erde durchstreiften, hatten ein deutlich geringeres Ausmaß. Möglicherweise gab es allerdings ungefähr vor 2,4 Milliarden Jahren, bereits einmal ähnlich große Eiszeiten (siehe z.B. http://www.spaceref.com/news/viewpr.html?pid=852 ).
Die Sonnenleuchtkraft war zur Zeit der globalen Vereisung vor etwa 600 Millionen Jahren etwa 6 % schwächer als heute. Das alleine reicht aber nicht aus, um die Erde komplett vereisen zu lassen. Mehrere Faktoren müssen zusammenkommen und sich gegenseitig verstärken. Dabei spielt besonders die Lage der Kontinente eine wichtige Rolle. Vor 600 Millionen Jahren befanden diese sich vermutlich fast alle in Äquatornähe. Schauen wir uns an, wie dadurch möglicherweise ein globaler Vereisungszyklus entstehen kann (siehe http://www.eps.harvard.edu/people/faculty/hoffman/Snowball-fig5.pdf sowie Paul F. Hoffmann, Daniel P. Schrag: Als die Erde ein Eisklumpen war, Spektrum der Wissenschaft, April 2000, S.58 ):
Das Leben, das vereinzelt überleben konnte, eroberte nun in einem beispiellosen Siegeszug die Erde für sich zurück.
a) Keimblätter, Körperbau und Hox-Gene
b) Die Entstehung der Vielzelligkeit
c) Kratone
Schaut man sich die Embryonen von Wirbeltieren an, so stellt man große Ähnlichkeiten zwischen ihnen fest, die auf die lange gemeinsame Evolution aller Wirbeltiere hinweisen. So bilden beispielsweise alle Wirbeltierembryonen am Kopf Kiemenbögen aus, aus denen sich die verschiedenen Kopfstrukturen entwickeln (mehr dazu in Kapitel 4.1, Zusatzinfos b) Chordatiere, Lanzettfischchen und Kiemenbögen).
Betrachtet man das Wachstum von Wirbeltierembryonen im Detail, so stellt man fest, dass sich alle Körperstrukturen auf nur drei Gewebeschichten zurückführen lassen, die man Keimblätter nennt. Diese drei Keimblätter entstehen bei der sogenannten Gastrulation, die beim Menschen in der zweiten Woche stattfindet. Auf die Gastrulation wird auch im Buchkapitel eingegangen, und zwar im Zusammenhang mit der Aufspaltung der Bilateria (Zweiseitentiere) in Proto- und Deuterostomier. Schauen wir uns diesen entscheidenden Prozess und seine weiteren Auswirkungen hier etwas genauer an:
Die Zuordnung einzelner Zellen zu den Keimblättern liegt bei vielen Lebewesen bereits nach wenigen Zellteilungen der befruchteten Eizelle weitgehend fest. Deutlich ausgebildet werden die Keimblätter jedoch erst bei der Gastrulation, die es bei fast allen vielzelligen Tieren gibt -- genauer bei den sogenannten Gewebetieren (Eumetazoa), nicht aber bei den Schwämmen und Placozoa (z.B. Trichoplax, siehe Buch), die entsprechend auch keine unterschiedlichen Keimblätter besitzen.
Vor der Gastrulation besteht der Embryo im Wesentlichen aus einer Hohlkugel (Blastula), deren Wand nur eine Zelle dick ist. Bei Säugetieren, Reptilien oder Vögeln sind die Details teilweise etwas anders, da noch ein raumfüllender Dotter oder später eine Plazenta zu berücksichtigen sind, sodass eine Keimscheibe an Stelle einer Kugel existiert -- das Prinzip bleibt jedoch dasselbe.
Wie im Buch beschrieben, stülpt sich bei der Gastrulation die Außenwand der Hohlkugel an einer Seite nach innen, sodass im Inneren der Kugel ein Hohlraum entsteht, der über eine Öffnung (den Urmund oder Blastoporus) mit dem Außenraum verbunden bleibt. Den Hohlraum nennt man auch primäre Leibeshöhle oder Urdarm (Archenteron). Dieser Urdarm ist also nun von zwei Zellschichten vom Außenraum getrennt, die man als zwei Keimblätter bezeichnet: außen das Ektoderm, also gleichsam die Außenwand, und innen das Entoderm, also die Wand des Urdarms. Bei Nesseltieren (Cnidaria, z.B. Quallen, Korallen, Seeanemonen, .... ) und Rippenquallen (Ctenophora) bleibt es bei dieser Grundstruktur: Sie haben nur diese beiden Keimblätter und besitzen nur eine Verdauungsöffnung (Mund), aber keinen durchgängigen Darm mit separatem Ein- und Ausgang.
Das dritte Keimblatt -- das Mesoderm -- entsteht dagegen erst bei den
Zweiseitentieren (Bilateria), bei denen sich rechts und links unterscheiden lassen.
Das Mesoderm entsteht zwischen Ektoderm und Entoderm, also gleichsam zwischen Außenwand und Urdarmwand,
indem Zellen aus der Nähe des Urmundes dort einwandern (typisch für Protostomier, s.u.) oder
indem sich ein Abschnitt des
Urdarms gleichsam abfaltet (typisch für Deuterostomier, zu denen wir gehören, s.u.).
Gastrulation und Ausbildung von Mund und Anus bei Protostomiern und Deuterostomiern.
Das Ektoderm ist orange, das Entoderm gelb und das Mesoderm blau dargestellt.
Credit: YassineMrabet auf Wikipedia
Quelle: Wikimedia Commons
File:Protovsdeuterostomes.svg,
Lizenz dort:
Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Bei den Bilateria (außer bei den Acoelomorpha) entsteht im Mesoderm eine neue sekundäre Leibeshöhle (das Coelom),
die sich bei Säugetieren zur Brusthöhle, Bauchhöhle und Herzbeutelhöhle weiterentwickeln.
Im Unterschied zur primären Leibeshöhle (dem Urdarm) ist das Coelom nicht mit der Außenwelt verbunden,
sondern eine rein innere Struktur.
Außerdem bricht der Urdarm am anderen Ende nach außen durch und erzeugt eine zweite Verdauungsöffnung,
sodass ein durchgängiger Darm entsteht (die Acoelomorpha haben dagegen nur eine Verdauungsöffnung).
Dies führt zur größten Zweiteilung in der Entwicklungsgeschichte der Tiere (siehe auch das Buchkapitel):
Zu den Deuterostomiern (Neumündern) gehören wir selbst, zu den Protostomiern (Urmündern) gehören beispielsweise Weichtiere und Insekten (Details siehe Buchkapitel).
Die innere Systematik der vielzelligen Tiere (Metazoa)
Credit: Jörg Resag
Bei den Deuterostomiern kommt es
zu einer dorsoventralen Achsenumkehr, d.h. oben und unten sind im Vergleich
zu den Protostomiern vertauscht. Die Deuterostomier sind also vermutlich die Nachkommen
eines Rückenschwimmers -- mehr dazu im Buch.
Neben den Ambulacraria (Stachelhäuter wie Seesterne oder Seeigel sowie Kiemenlochtiere wie Flügelkiemer, Graptolithen oder Eichelwürmer) gehen aus den Deuterostomiern die Chordatiere und aus diesen schließlich die Wirbeltiere hervor. Bei Chordatieren und Wirbeltieren streckt sich nach der Gastrulation die eingestülpte Hohlkugel mit ihren beiden Öffnungen in die Länge und ähnelt schließlich zwei ineinandergesteckten Röhren mit Verdickungen am Kopf- und Schwanzende. Dies ist der Grundaufbau aller Chorda- und Wirbeltiere: Ein Rohr in einem Rohr (wie Neil Shubin es in seinem Buch Der Fisch in uns ausdrückt), wobei zwischen den beiden Rohren noch das Gewebe des Mesoderms mit dem Coelom liegen. Folgende Körperstrukturen gehen aus diesen beiden Rohren bzw. den zugehörigen Keimblättern hervor:
Man kann im Detail verfolgen, wie die einzelnen Organe und Körperteile aus den drei Keimblättern entstehen. So bildet sich bei den Chorda- und Wirbeltieren die Chorda dorsalis aus dem Mesoderm und sorgt durch Botenstoffe dafür, dass sich im Ektoderm darüber eine Neuralplatte ausbildet, die sich dann entlang einer Rinne einstülpt und sich schließlich als Neuralrohr nach innen abschnürt (Neurulation). Aus dem Neuralrohr entsteht bei Wirbeltieren das Zentralnervensystem inklusive Augen und Gehirn. Bereits das schädellose Lanzettfischchen hat ein solches Neuralrohr, aber noch keine Augen, sondern nur lichtempfindliche Zellen, die sich an der Hautoberfläche des Rückens befinden und mit dem Neuralrohr verbunden sind (siehe Kapitel 4.1, Zusatzinfos b) Chordatiere, Lanzettfischchen und Kiemenbögen).
Bei der Neurulation entsteht das Neuralrohr.
Credit: Abitua auf Wikipedia
Quelle: Wikimedia Commons
File:Neural Crest.png,
dort gemeinfrei
Wie schaffen es die Zellen, solche komplexen Strukturen aufzubauen?
Es gibt ja keinen äußeren Architekten oder Baumeister!
Stattdessen trägt jede Zelle den kompletten Bauplan in Form der Gene in sich, wobei die
Gene keinen Bauplan im klassischen Sinne repräsentieren, sondern eher ein
Verhaltensprogramm sind, das den Zellen sagt,
unter welchen äußeren Bedingungen sie sich wie zu verhalten haben
(sich teilen, bestimmte Stoffe produzieren, sich verändern oder gar Selbstmord begehen).
An bestimmten Stellen werden durch aktive Gene so Signalstoffe
gebildet, die durch das Gewebe diffundieren und ein Konzentrationsgefälle
im Körper ergeben, das als Ortsinformation für die einzelnen Zellen dient.
Die Zellen reagieren auf diese Information und aktivieren die dazu passenden Gene,
sodass sich die entsprechenden Körperstrukturen ausbilden können.
Dabei bestehen komplexe Wechselbeziehungen
zwischen den Genen, denn viele Gene dienen als Schalter für weitere Gene.
Die Strukturbildung im Organismus wird von ganz bestimmten Organisatorregionen vorangetrieben, in denen die entsprechenden Gene aktiv sind. Besonders wichtig sind dabei die sogenannten Hox-Gene, die die Ausbildung und Gliederung von Strukturen entlang der Längsachse kontrollieren, indem sie andere Gene an- und abschalten. Die Lage der Hox-Gene im Erbgut spiegelt dabei die Lage der Strukturen entlang der Längsachse wider. Schwämme und Rippenquallen haben noch gar keine Hox-Gene, Nesseltiere und Acoelomorpha dagegen schon. Dabei steigt die Zahl der Hox-Gene mit der Komplexität des Körperbaus.
Die verschiedenen Hox-Gene entstanden im Lauf der Evolution
durch mehrfache Verdoppelung eines ursprünglichen Hox-Gens und anschließender Abänderung
der Genkopien. Daher sind sie untereinander sehr ähnlich -- sie sind gleichsam
Variationen desselben Themas.
Da sie die Gliederung des Körpers entlang seiner Längsachse steuern,
spiegeln sie bei vielen Tieren deren Segment-Aufbau
wider -- nicht nur Insekten, sondern auch Wirbeltiere sind aus vielen einzelnen
Segmenten zusammengesetzt (man denke an Rippen oder Wirbel, aber auch an die Kiemenbögen,
aus denen unser Kopf entsteht). Aber auch bei Lebewesen ohne Körpersegmente (z.B. Seeanemonen)
sorgen sie für den korrekten Aufbau entlang der Längsachse.
Zwei andere interessante Gene sind Noggin und BMP4. Sie sind keine Hox-Gene, sondern sie bestimmen gemeinsam die Ausbildung einer Bauch- und einer Rückseite. BMP4 gibt dabei das Signal, eine Bauchseite auszubilden. Noggin hemmt nun am zukünftigen Rücken BMP4, sodass dort das Bauchsignal unterdrückt wird und die Zellen zu Rückenzellen werden. Damit gibt Noggin also nicht direkt ein Rückensignal, sondern es unterdrückt vielmehr das Bauchsignal -- ein schönes Beispiel für die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Genen.
Dieser Abschnitt orientiert sich u.a. an Neil Shubin: Der Fisch in uns, Fischer Verlag 2008.
Die Entstehung vielzelliger Lebewesen, die mehr als nur reine Kolonien von Einzellern sind, dürfte rund eine Milliarde Jahre zurückliegen. In den Fossilien werden Vielzeller vor rund 600 Millionen Jahren sichtbar (gemeint sind die Abdrücke ähnlich wie Scheiben, Bänder oder Farnwedel der sogenannten Ediacara-Fauna -- siehe Buchkapitel sowie Kapitel 4.1).
Der Schlüssel für die Entstehung von Vielzellern liegt in der Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Zellen. Außerdem benötigen sie eine Art Klebstoff, der die einzelnen Zellen zu einem Gewebe zusammenfügt. Man spricht hier von der Extrazellulären Matrix EZM.
Die EZM ist allerdings deutlich mehr als nur ein Klebstoff. Es gibt intensive Wechselbeziehungen zwischen dem EZM und den darin eingebetteten Zelen, wobei die Zellen in einer Art Fließgleichgewicht ständig die Bestandteile des EZM auf- und abbauen.
Ein wichtiger Bestandteil des EZMs von harten Geweben wie Knochen ist das Mineral Hydroxylapatit, das uns auch bei den Zähnen in den Zusatzinfos zu Kapitel 4.1 begegnet. Hydroxylapatit ist sehr hart und druckfest, aber nicht besonders zug- oder knickfest.
Das wird durch einen zweiten Bestandteil des EZM ausgeglichen: das Kollagen, das nicht nur in Knochen vorkommt, sondern in fast jedem tierischen Gewebe vorhanden ist. Kollagen ist das häufigste Protein in unserem Körper und macht rund 30 % des Gesamtgewichts aller Eiweiße im Körper aus. Anders als das mineralische Hydroxylapatit bildet Kollagen Bündel aus winzigen Fasern aus, die wie ein Seil besonders zugfest sind.
Wie wichtig Kollagen für uns ist, wird besonders deutlich, wenn beim Zusammenbau der Kollagenmoleküle etwas schiefgeht. Das ist beim Skorbut durch Vitamin-C-Mangel der Fall, denn Vitamin C wird bei einem wichtigen Zwischenschritt (der Hydroxylierung) in der Kollagensynthese benötigt. Fehlt Vitamin C, so entstehen nur noch schadhafte Kollagenmoleküle, die keine brauchbaren Fasern mehr bilden können. Die typischen Symptome von Skorbut wie Zahnfleischbluten, Zahnausfall, Hautblutungen und Muskelschwund sind die Folge.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des EZM sind die Proteoglykane. Dabei handelt es sich um sehr große Moleküle, die wie Bürsten oder Federn geformt sind, wobei der Stiel aus Hyaluronsäure und die Borsten bzw. Seitenäste aus einem Kernprotein mit angehängten langen Kohlenhydratketten (Zuckermolekülketten, sogenannte Glykosaminoglykan-Ketten) bestehen. Die Proteoglykane können nun wie ein Schwamm große Mengen an Wasser einlagern und an sich binden, was sie sehr druckfest macht und sie außerdem zu einem geeigneten Schmiermittel werden lässt, was beispielsweise im Knorpelgewebe sehr wichtig ist.
Die Zellen treten mit dem EZM sowie untereinander über hochspezifische Rezeptoren auf ihrer Oberfläche in Kontakt, die es in großer Vielfalt gibt. Neil Shubin bezeichnet sie in seinem Buch Der Fisch in uns als selektive molekulare Nieten. Diese vielen verschiedenen Nieten sorgen dafür, dass sich die richtigen Zellen zusammenfinden und miteinander verbinden.
Die verschiedenen Nieten bzw. Andockstellen dienen auch dem Informationsaustausch zwischen den Zellen, der über den Transfer von Botenmolekülen erfolgt. Dockt so ein Botenmolekül an einer zu ihm passenden Andockstelle auf einer Zelloberfläche an, dann können dadurch in einer Kettenreaktion viele Prozesse in der Zelle ausgelöst werden. Beispielsweise können ganze Genbatterien an- oder abgeschaltet werden, sodass die Zelle ihr verhalten ändert.
Einfache gewebelose Vielzeller (Metazoa), die noch nicht zu den Gewebetieren (Eumetazoa) gehören, haben noch keine so komplexe EZM. Zu ihnen gehören zwei Gruppen: die Placozoa und die Schwämme. Sie stellen die einfachsten heute noch lebenden vielzelligen Tiere dar (siehe die Stammbaum-Grafik weiter oben).
Die Placozoa (Plattentiere), deren einzige heute noch lebende Art Trichoplax adhaerens ist (siehe Buch), sehen aus wie winzige Scheibchen, die rund 0,3 bis 0,5 mm groß und nur 0,025 mm dick sind. Ähnlich wie Amöben ändern sie ständig ihre äußere Form, wobei sie anders als Amöben aus 200 bis 1000 Zellen bestehen. Obwohl man bei ihnen weder vorne und hinten noch rechts und links unterscheiden kann und sie weder Gewebe noch Organe besitzen, sind sie echte Vielzeller, die eine Rückenseite und eine Bauchseite besitzen, die jeweils eine Zellschicht dick ist. Man kann bei ihnen vier Zelltypen unterscheiden: Bauch- und Rücken-Geißelzellen sowie Bauch-Drüsenzellen und spezielle Zellen im faserigen flüssigkeitsgefüllten Innenraum zwischen der Bauch- und Rücken-Zellschicht. Dieser Innenraum (das sogenannte Fasersynzytium) ist besonders interessant, da in ihm einfache Muskel- und Nerven-ähnlich Prozesse ablaufen -- so kordiniert Trichoplax vermutlich seine Bewegungen und Formveränderungen.
Schwämme (Porifera) können anders als Placozoa recht groß werden,
da sie über eine Art Skelett oder besser Matrix aus Kalk oder Silikat verfügen.
Sie sehen meist aus wie eine Art Becher mit einem zentralen Hohlraum,
einer Öffnung oben und vielen kleinen Kanälen oder Poren in der Becherwand.
Durch die Poren wird Wasser in den zentralen Hohlraum befördert,
wobei Nahrungsteilchen herausgefiltert werden.
Durch die große Becheröffnung oben verlässt das Wasser den Schwamm wieder.
Im Erdaltertum und Erdmittelalter waren bestimmte Schwämme
(die sogenannten Stromatoporen) maßgeblich am Aufbau von Riffen beteiligt -- besonders
im Silur und Devon.
Man kann bei ihnen u.a. die folgenden verschiedene Zelltypen unterscheiden (die Farbangaben beziehen sich auf die Grafik darunter):
Interessant ist sowohl bei Placozoa als auch bei Schwämmen:
Trennt man die Zellen voneinander, indem man das Tier durch ein Passiersieb streicht,
so finden sich die Zellen anschließend wieder zu Zellgruppen zusammen, aus denen
vollständige Tiere entstehen.
Die verschiedenen molekularen Nieten der Zellen sorgen dabei dafür,
dass sich die Zellgruppen richtig zusammenfinden,
und Kollagenfasern stabilisieren die Zellgruppen. Während wir immerhin 21 Kollagentypen
besitzen, habe Schwämme allerdings nur 2 davon.
Übrigens verbinden sich die Zellen zweier verschiedener Schwammarten nicht miteinander zu Zellgruppen -- ihre
molekularen Nieten passen nicht zueinander.
Interessant ist, dass aus jeder einzelnen Schwammzelle jeden Zelltyps noch ein kompletter neuer Schwamm entstehen kann. Das ist bei den Zellen höherer Vielzeller anders -- bei ihnen können nur die Keimbahnzellen neue Individuen hervorbringen, während eine Leber- oder Muskelzelle dies nicht mehr kann.
Wie bei den Placozoa fehlen den Schwämmen echte Muskel-, Nerven- und Sinneszellen. Dennoch finden in ihnen einige Vorgänge statt, die man als Vorläufer von Muskel- und Nervenaktivitäten ansehen kann (ähnlich wie bei den Placozoa). So können sie bestimmte Reize ihrer Umgebung (Licht, Wasserströmungen etc.) wahrnehmen und darauf reagieren. Manche Schwämme können sich sogar sehr langsam bewegen, sich beispielsweise zusammenziehen und wieder ausdehnen.
Gehen wir noch einen Schritt auf der Evolutionsleiter zurück, so begegnen uns die einzelligen Kragengeißeltierchen (Choanoflagellaten). Sie sind die engsten heute lebenden einzelligen Verwandten der mehrzelligen Tiere und sehen den becherförmigen Choanocyten (Kragengeißelzellen) der Schwämme extrem ähnlich -- vermutlich dürften die einzelligen Vorfahren der Schwämme so ähnlich wie Kragengeißeltierchen ausgesehen haben, auch wenn diese selbst wohl nicht direkt diese Vorfahren sind. Kragengeißeltierchen besitzen bereits Kollagen, molekulare Nieten und Signalstoffe. Allerdings vereinen sie sich nicht zu echten Vielzellern, können aber immerhin bereits Zellkolonien bilden.
Auch viele andere Mikroorganismen besitzen auf ihrer Zelloberfläche bereits
Kollagen-ähnliche Moleküle, die allerdings noch keine seilartigen Fasern bilden.
Sie verfügen auch über Zuckermoleküle, wie sie in ähnlicher Form in den
Proteoglykanen (Stichwort Knorpel) vorkommen sowie über molekulare Nieten.
Diese werden allerdings von ihnen eher als Festhaltemoleküle benutzt,
um andere Zellen zu infizieren oder sich an sie anzuheften, sie zu umschließen und zu fressen.
Auch Mikroorganismen kommunizieren über molekulare Signale, um beispielsweise Räuber abzuwehren.
Mit anderen Worten: Die Voraussetzungen zur Kooperation, wie sie die Zellen eines Vielzellers benötigen, bringen auch viele Mikroorganismen bereits in vereinfachter Form mit. So berichtet Neil Shubin in seinem Buch Der Fisch in uns auf S. 168 von einem Experiment (Martin Boraas und Kollegen, Phagotrophy by a fagellate selects for colonial prey:A possible origin of multicellularity, http://www.springerlink.com/content/q239365007h43465/fulltext.pdf ), bei dem einzellige Algen einer räuberischen Mikrobe ausgesetzt wurden, die allerdings nur einzelne Algen vertilgen konnte. Schon nach rund 200 Generationen veränderten sich die Algen so, dass sie mehrzellige Klumpen bildeten, die zu groß für den Fressfeind waren. Es dauert also keineswegs besonders lange, bis sich Einzeller unter einem äußeren Selektionsdruck zu größeren Gruppen zusammenschließen.
Warum hat es dann über 2,5 Milliarden Jahre gedauert, bis sich vor rund einer Milliarden Jahre die ersten Vielzeller behaupten konnten? Womöglich waren die biologischen Voraussetzungen für Vielzeller längst da, aber es mussten sich erst die richtigen Bedingungen einstellen, die den Vielzellern einen Evolutionsvorteil gegenüber den Einzellern boten. Eine dieser Bedingungen könnte der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre gewesen sein, der zu dieser Zeit deutlich anstieg. Vielleicht besteht auch ein Zusammenhang mit den globalen Eiszeiten (Schneeball Erde), die etwas später die Erde überzogen. Man darf gespannt sein, was die biologische Forschung hier in den nächsten Jahren noch herausfinden wird.
Die großen kontinentalen Schollen, wie wir sie heute vorfinden, gab es in der Frühzeit der Erde (dem Hadaikum und dem Archaikum bis vor rund 2,5 Milliarden Jahren) noch nicht. Stattdessen bildeten sich in dieser Zeit nach und nach eine ganze Reihe recht kleiner Kontinentalschollen, die man Kratone nennt. Die Kratone bilden heute die alten Kernstücke der Kontinente. Sie haben sich in den vergangenen 2,5 Milliarden Jahren seit dem Ende des Archaikums nur wenig verändert.
Wie der Bildungsprozess der Kratone im Archaikum im Detail vor sich ging, ist noch nicht gut verstanden (man weiß allgemein noch relativ wenig über die ersten 2 Milliarden Jahre der Erdgeschichte). Auf der sehr frühen Erde hat es zunächst wohl noch gar keine Kontinentalschollen gegeben, sondern nur eine Urkruste aus schwerem Basalt, analog der heutigen ozeanischen Kruste. Bei den ständigen Umwandlungsprozessen dieser dünnen basaltischen Kruste (Aufschmelzen, Subduktion und Neubildung etc.) haben sich dann nach und nach leichtere Magmenanteile von den schwereren basaltischen Magmen abgetrennt und die felsigen Kratone aufgebaut. Wie alle Kontinentalplatten sind auch die Kratone zu leicht, als dass sie ähnlich wie die schwerere basaltische Ozeankruste in den Erdmantel abtauchen könnten (Subduktion). Sie schwimmen vielmehr auf dem zähplastischen Mantelgestein und folgen zusammen mit der ozeanischen Kruste dessen Konvektionsbewegung, wobei sich durch Vulkanismus, Gebirgsbildung und andere Prozesse nach und nach immer mehr Gestein an den Rändern der Kratone anlagert. Die Kratone können also am Rand wachsen und bei Kollisionen auch miteinander verschweißt werden, wodurch schließlich die heutigen großen Kontinentalschollen entstanden sind. Dabei werden die ursprünglichen Kratone selbst kaum verändert, da sie aus sehr dickem und starrem Material bestehen. Bei starken tektonischen Kräften werden sie daher nicht gefaltet, sondern es bilden sich Brüche im Gestein.
Die Größe der einzelnen archaischen Kratone variiert stark. Insgesamt bilden ihre alten Gesteine heute nur etwa 10 bis 20 Prozent der Erdoberfläche. Bekannte Beispiele für Kratone sind das Nordamerikanische Kraton (das sich genau genommen aus mehreren Kratonen zusammensetzt) oder das Baltische Schild. An den Schilden tritt das ursprüngliche Gestein der Kratone (oft Grundgebirge genannt, meist Gneise oder Granite) an die Erdoberfläche, während bei den sogenannten Tafeln oder Plattformen dieses alte Gestein unter Deckgebirgen aus darüber abgelagerten ungefalteten Sedimentgesteinen verborgen ist. In der folgenden geologischen Übersichtskarte sind die Schilde in Orange, die Tafeln in Rosa dargestellt:
Literatur zu dem Thema:
last modified on 01 November 2012