Die ersten Aufgaben, die Wheeler seinem neuen Doktoranden Feynman stellte, hingen eng mit Wheelers eigenen Forschungsarbeiten zusammen: der quantenmechanischen Beschreibung von Streuprozessen. Aber Feynman hatte auch seinen eigenen Kopf und begann, erneut über eine Idee nachzudenken, die ihn schon am MIT beschäftigt hatte.
Zur damaligen Zeit war man nämlich intensiv damit beschäftigt, die Quantentheorie mit den Gesetzen der Elektrodynamik zu vereinen und eine Quantenelektrodynamik (QED) zu formulieren. Da hierbei auch Licht und damit die Lichtgeschwindigkeit eine wichtige Rolle spielt, braucht man eine Beschreibung, die sich im Einklang mit Einsteins Spezieller Relativitätstheorie befindet. Durch die Quantenmechanik kommt dabei der Begriff des Photons − auch Lichtquant genannt − ins Spiel. In der QED müssen alle elektromagnetischen Felder durch Photonen beschrieben werden.
Die Formulierung der Quantenelektrodynamik mithilfe von Photonen erwies sich jedoch als ausgesprochen komplex, und man stieß auf gravierende Schwierigkeiten, die das ganze Vorhaben grundsätzlich in Frage stellten. Ein Problem war die Selbstwechselwirkung des Elektrons: Wenn ein Elektron ein Photon aussendet, so kann es in einer Schleife zurück zum Elektron laufen und von diesem wieder eingefangen werden. Das Elektron wechselwirkt gleichsam mit sich selbst bzw. mit dem von ihm ausgesandten Photon.
Nun besitzen die Photonen der Selbstwechselwirkung eine gewisse Energie,
die in der Nähe des Elektrons lokalisiert ist.
Nach Einsteins Formel E = m c2 entspricht diese lokalisierte Energie E einer Masse m.
Ein reales Elektron besteht in der QED nun immer aus dem nackten Elektron plus
einer Wolke aus Photonen, die es ständig aussendet und wieder einfängt.
Die Energie dieser Photonenwolke muss mit einbezogen werden,
wenn wir von der Masse des realen Elektrons sprechen.
Und da entsteht das Problem: Die Rechnungen ergeben eine unendlich große Energie für die Photonenwolke, sodass die Masse des realen Elektrons unendlich groß sein müsste. Das kann so natürlich nicht stimmen! Das Problem wird auch nicht erst durch die Quantentheorie verursacht. Schon in der klassischen Elektrodynamik ist die Energie des elektrischen Feldes bei einem punktförmigen Elektron unendlich groß.
Feynman hatte diese Schwierigkeiten bei der Formulierung der Quantenelektrodynamik in seinem Studium mitbekommenn, wobei ihn besonders eine Aussage Diracs beeindruckt hatte: „Es scheint so, als ob hier einige grundsätzlich neue physikalische Ideen notwendig sind." Konnte er diese neue Idee vielleicht aufspüren?
Damals reifte in Feynman eine Idee, die sich aus heutiger Sicht letztlich als Seitenzweig der wissenschaftlichen Entwicklung entpuppte. Da sie aber Feynman schließlich dazu motivierte, einen ganz neuen Zugang zur Quantentheorie zu formulieren, wollen wir sie uns genauer ansehen.
Der grundlegende Gedanke ist folgender: Eine Ursache der Probleme mit der QED schien darin zu liegen, dass das Elektron mit sich selbst (also mit der von ihm ausgesendeten Photonenwolke) wechselwirkt. Warum aber sollte ein Teilchen überhaupt mit sich selbst wechselwirken? Wäre es nicht vielleicht möglich, schon die klassische Theorie so umzuformulieren, dass die Selbstwechselwirkung von Elektronen wegfällt und sie nur mit anderen Elektronen wechselwirken?
Dafür müsste man allerdings auf das gewohnte elektrische (und magnetische) Feld verzichten. Normalerweise geht man nämlich so vor, dass man anhand aller vorhandenen Ladungen ein gemeinsames Feld berechnet, zu dem jede Ladung beiträgt. Damit wirkt aber auf jede Ladung das Feld aller Ladungen zurück, einschließlich seiner selbst. Verwendet man ein einziges gemeinsames Feld, so ist die Selbstwechselwirkung unvermeidbar.
Feynman entwarf also folgenden Plan: Formuliere die klassische Elektrodynamik so um, dass Elektronen nicht mehr mit sich selbst wechselwirken, und hoffe, dass dann in der zugehhörigen Quantentheorie keine Probleme mehr auftreten. Diese Idee erschien Feynman so naheliegend und elegant, dass er sich geradezu in sie verliebte: „The idea seemed so obvious to me and so elegant that I fell deeply in love with it.“
Feynman stieß bei der Umsetzung seines Plans auf ein Problem, das seine wunderbare Idee infrage zu stellen drohte: Wenn ein Elektron beispielsweise in einer Sendeantenne hin und her schwingt, so strahlt es Energie in Form einer elektromagnetischen Welle ab. Das Elektron verliert also beim Schwingen ständig Energie. Dadurch wird seine Schwingung gedämpft. Man spricht hier vom sogenannten Strahlungswiderstand. Um die Schwingung aufrecht zu erhalten, muss man dem Strahlungswiderstand entgegenwirken und so dem Elektron die abgestrahlte Energie wieder zuführen.
Der Strahlungswiderstand wird letztlich durch die ständige Änderung der Beschleunigung bei der Schwingung verursacht. Ein sich gleichmäßig bewegendes Elektron strahlt also nicht, ebenso wenig wie ein gleichmäßig beschleunigtes Elektron. Den Strahlungswiderstand spürt man nur dann, wenn sich die Beschleunigung ändert, so wie bei einem schwingenden Elektron in einer Antenne.
Der niederländische Mathematiker und Physiker Hendrik Antoon Lorentz hatte untersucht, wo dieser Strahlungswiderstand genau herkommt, und war zu dem Ergebnis gekommen, dass sein Ursprung in der Selbstwechselwirkung des Elektrons liegt − mehr dazu gibt es in den Zusatzinfos weiter unten. Genau diese Selbstwechselwirkung wollte Feynman aber loswerden, da sie bei einem punktförmigen Elektron zu einer unendlichen Selbstenergie und damit zu einer unendlichen Masse führt. Feynman war also gerade dabei, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Wenn Elektronen nur auf andere Elektronen einwirken können, nicht aber auf sich selbst, dann kann es nur eine Rettung geben: Der Einfluss der anderen Elektronen im Universum auf das schwingende Elektron muss für dessen Strahlungswiderstand verantwortlich sein. Feynman überlegte sich: Wenn das Elektron für einen kurzen Moment hin- und herschwingt, so würde es ein anderes Elektron in seiner Umgebung mit seiner elektromagnetischen Kraft ebenfalls in Schwingung versetzen. Dieses würde wiederum mit seiner elektromagnetischen Kraft auf das erste Elektron zurückwirken und könnte es so abbremsen, was vielleicht den Strahlungswiderstand erklären würde. Voller Zuversicht stellte Feynman die entsprechenden Berechnungen an, doch es haute nicht richtig hin. Also ging Feynman zu Wheeler und fragte ihn um Rat.
Wheeler erfasste mit seiner größeren Erfahrung sofort, was nicht stimmte: Was Feynman berechnet hatte, war nichts anderes als die Erzeugung von Licht durch das erste Elektron und dann die gewöhnliche Reflexion oder Streuung des Lichts am zweiten Elektron. Das hatte mit dem Strahlungswiderstand wenig zu tun.
Aber Wheeler war nicht umsonst dafür bekannt, sich auch für scheinbar merkwürdige Ideen begeistern zu können. Er verwarf also Feynmans Idee nicht einfach, sondern er erkannte das Potenzial darin: Was war zu tun, um die Idee zu retten?
Zum einen musste man annehmen, dass sich überall im Raum genug Elektronen befinden, um all die abgestrahlte Energie aufzunehmen, die das erste Elektron bei seiner Vibration abgestrahlt hat. Weiterhin musste die Rückwirkung der anderen Elektronen auf das erste Elektron zeitlich so wirken, dass es bei seiner Vibration sofort einen Strahlungswiderstand spürt. Nur wie sollte das angesichts der endlichen Lichtgeschwindigkeit gehen?
Hier hatte Wheeler einen scheinbar verrückten Einfall: Was wäre, wenn die Rückwirkung der anderen Elektronen auf das erste Elektron sich nicht nur vorwärts in der Zeit ausbreiten würde – man spricht hier von retardierten Feldern – sondern auch rückwärts in der Zeit? Das wären dann sogenannte avancierte Felder. Die retardierten Felder repräsentieren dann wie gewohnt die Reflexion und Streuung von Licht. Die avancierte Rückantwort käme dagegen genau im richtigen Moment am ersten Elektron an, wenn dieses seine Schwingung ausführt, und könnte so den Strahlungswiderstand erzeugen.
Die Maxwellgleichungen verbieten es nicht, dass wir auch über avancierte Felder und Wellen nachdenken. Feynman beschreibt es in seinem Nobelvortrag sinngemäß so: „Manchmal ist eine Idee, die zunächst vollkommen paradox aussieht, überhaupt nicht mehr paradox, wenn man sie in allen Details und in realen Situationen bis zum Ende ausanalysiert.“
Feynmans und Wheelers verrückte Theorie sah tatsächlich vielversprechend aus. Feynman steckte noch weiteren Aufwand hinein, um seine Idee an einer Vielzahl von Beispielen zu erproben. Alles schien wunderbar aufzugehen – die Theorie funktionierte. Es gab auch ohne die störende Selbstwechselwirkung einen Strahlungswiderstand!
Bei ihren Untersuchungen stießen Feynman und Wheeler auf eine bemerkenswerte Eigenschaft ihrer Theorie: Man konnte sie über das Prinzip der kleinsten Wirkung formulieren, wobei die Wirkung nur von den Bahnen aller Elektronen abhing und keinerlei elektromagnetische Felder mehr enthielt. Die Bahnen der Elektronen würden sich in der Realität dann so einstellen, dass diese Wirkung minimal wird. Das war genau das ursprüngliche Ziel, das Feynman im Sinn gehabt hatte: Das elektromagnetische Feld sollte als Vermittler der Kräfte verschwinden.
Schließlich war Feynmans und Wheelers alternative Formulierung der Elektrodynamik so weit ausgereift, dass man sie einem größeren Publikum vorstellen konnte. Wheeler bat Feynman, ein entsprechendes Seminar abzuhalten, um Übung im Präsentieren wissenschaftlicher Ergebnisse zu bekommen, und arrangierte zusammen mit Eugene Wigner einen Termin. Es war Feynmans erstes Seminar dieser Art.
Nach und nach stellte sich heraus, dass viele berühmte Wissenschaftler zu dem Seminar kommen würden: der Astronom Henry Norris Russell, der Mathematiker John von Neumann, der Physiker Wolfgang Pauli und sogar der große Albert Einstein höchstselbst. Feynman wurde nervös. Doch als das Seminar begann und er sich auf die Physik konzentrieren musste, fiel alle Nervosität von ihm ab. Es war ihm egal, wer in dem Raum saß − nur die physikalischen Ideen zählten noch. Diese Fähigkeit behielt Feynman sein Leben lang bei. Sie war sicher eine der Hauptgründe dafür, warum seine Vorträge so einzigartig waren.
Als Feynman seinen Vortrag beendet hatte und die Fragerunde begann, war Pauli der erste, der seine Bedenken äußerte. Feynman bedauerte es später, dass er sich nicht mehr an Paulis Einwände erinnern konnte. Womöglich waren diesem erfahrenen Quantenphysiker einige Probleme aufgefallen, die Feynman erst später bemerken würde, als er versuchte, seine Theorie in eine Quantentheorie zu übersetzen.
a) Die Selbst-Kraft auf ein beschleunigtes Elektron im Kugelmodell
Dabei ist k eine Zahl von der Größenordnung Eins, die von der konkreten Ladungsverteilung der Kugel abhängt. Für eine Kugel mit gleichmäßiger Ladungsdichte auf der Oberfläche ist k = 2/3. Außerdem ist c die Lichtgeschwindigkeit und e2 die quadrierte Ladung des Elektrons, geteilt durch 4πε0 mit der elektrischen Feldkonstante ε0.
Die durch die Punkte dargestellten Terme enthalten höhere Zeitableitungen der Beschleunigung sowie Potenzen des Kugelradius R, d.h. sie fallen weg, wenn der Kugelradius gegen Null schrumpft, wie man es für ein punktförmiges Elektron annehmen muss (zumindest konnte man bis heute keinerlei Ausdehnung bei Elektronen feststellen, anders als beispielsweise bei Protonen und Neutronen).
Der erste Term entspricht Newtons Formel F = m · a und enthält demnach als Vorfaktor der Beschleunigung a die Masse des Elektrons, die durch die Selbstenergie seines Feldes zustande kommt. Sie wird unendlich groß, wenn der Kugelradius R gegen Null schrumpft, da dieser im Nenner steht. Genau diesen Term wollte Feynman loswerden, indem er die Selbstwechselwirkung des Elektrons verneinte.
Der zweite Term tritt auf, wenn sich die Beschleunigung zeitlich ändert, beispielsweise bei einem schwingenden Elektron. Er entspricht dem Strahlungswiderstand und ist unabhängig vom Kugelradius R, d.h. man kann für diesen Term die Kugel problemlos unendlich klein werden lassen. Auch diesen Term würde Feynman verlieren, wenn das Elektron keine Selbstwechselwirkung hätte. Der Term muss aber vorhanden sein, damit ein schwingendes Elektron bei der Energieabstrahlung einen Widerstand spürt. Diesen Widerstand muss man überwinden, um die Schwingung aufrecht zu erhalten, d.h. man muss dem Elektron genau die Energiemenge zuführen, die es abstrahlt.
last modified on 27 August 2017