Im Dezember des Jahres 1959 hielt Feynman einen bemerkenswerten Vortrag auf der Jahresversammlung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft am Caltech, dessen Vision die Entwicklung einer Forschungsrichtung und eines Wirtschaftszweigs vorwegnahm, die erst vor einigen Jahren begonnen hat, ihr Potenzial zu entfalten: die Nanotechnologie. Der Titel seines Vortrags lautete There’s Plenty of Room at the Bottom (Da unten ist eine Menge Platz, siehe http://www.its.caltech.edu/~feynman/plenty.html).
Feynman fragt darin, was geschehen würde, wenn man Dinge im winzigen Maßstab manipulieren und steuern könnte. Damit meinte er nicht etwa beispielsweise den Maßstab der Mikrofilme, bei denen man Buchstaben um einen Faktor 20 bis 50 verkleinerte − so etwas war damals schon länger möglich. Mit ganz unten meinte er einen sehr viel kleineren Maßstab. War es beispielsweise möglich, alle Bände der Encyclopaedia Britanica auf einen einzigen Stecknadelkopf zu schreiben?
Um das zu erreichen, muss man die Schriftgröße der Encyclopaedia um den Faktor 25.000 verkleinern,
wie Feynman vorrechnet. Ein Punkt an einem Satzende hätte dann nur noch einen Durchmesser von ungefähr 8 Nanometern,
was rund 32 Metallatomen entspricht.
Mit dem bloßen Auge und auch mit einem Lichtmikroskop ist ein solcher Punkt bei Weitem nicht mehr zu erkennen. Andererseits würde die Fläche des Punkts trotz seiner geringen Größe immer noch rund 800 Atome umfassen, was physikalisch kein Problem sein sollte, wie Feynman feststellt: „Es steht außer Frage, dass auf dem Stecknadelkopf genügend Platz für die komplette Encyclopaedia ist!“
Aber könnte man derart winzige Buchstaben überhaupt noch lesen? Auch dieser Frage geht Feynman nach und kommt zu dem Schluss, dass das mit einem Elektronenmikroskop relativ leicht zu machen sein müsste! Für Feynman schien zu der damaligen Zeit das Elektronenmikroskop das ideale Werkzeug für den Nanometerbereich zu sein, und er ruft in seinem Vortrag dazu auf, die Auflösung der Elektronenmikroskope zu verbessern.
Es hat sich im Lauf der Zeit herausgestellt, dass das Elektronenmikroskop nicht unbedingt das ideale Werkzeug für die Nanowelt ist. Die Elektronenmikroskopie ist technisch immer eine aufwendige Angelegenheit, bei der man die Proben umständlich vorbereiten muss und diese dann nur in einem guten Vakuum mit dem Elektronenstrahl untersuchen kann.
Im Jahr 1981 − mehr als zwanzig Jahre nach Feynmans visionärem Vortrag − entwickelten der deutsche Physiker Gerd Binnig und sein Schweizer Kollege Heinrich Rohrer im IBM-Forschungslabor bei Zürich ein neues Werkzeug, das sich seitdem in der Nanotechnologie als äußerst nützlich erwiesen hat: das Rastertunnelmikroskop. Mit dem Rastertunnelmikroskop und ähnlichen Werkzeugen kann man Oberflächen nicht nur mit atomarer Auflösung abtasten, sondern sogar einzelne Atome darauf gezielt manipulieren.
Feynman konnte im Jahr 1959 solche Möglichkeiten kaum voraussehen. Er hatte sich eine andere, sehr originelle Methode ausgedacht, mit der er Materie auf der Nanoskala manipulieren wollte: Aus Atomkraftwerken kennt man Greifhände, die sich über eine Fernsteuerung ähnlich wie richtige Hände bewegen lassen. Diese Greifhände imitieren dabei die Bewegung der steuernden Hände und bewegen sich synchron mit diesen mit.
Mit einer Kaskade aus immer kleiner werdenen Greifhänden, bei denen die größeren die kleineren steuern, könnte man vielleicht bis die Nanowelt vordringen. Klar ist aber, dass dafür zumindest einige gravierende Probleme zu lösen wären. Die ständige Wärmebewegung der Atome lässt ein Objekt immer stärker vibrieren oder zufällig hin und her hüpfen, je kleiner es ist. Außerdem führen die an sich recht schwachen Van-der-Waals-Kräfte zwischen den Atomen in der Nanowelt dazu, dass alles Mögliche an den winzigen Händen kleben bleibt.
Kann es überhaupt bewegliche Maschinen in der Nanowelt geben? Die Antwort lautet eindeutig: JA! Unsere Zellen sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie ein komplexes Netzwerk aus Nanomaschinen zusammenarbeitet und Leben erst möglich macht.
Heute sind Chemiker bereits in der Lage, eine ganze Reihe verschiedener Moleküle herzustellen, die in verschiedenster Weise als Nanomaschinen fungieren können. Aber selbst heute steckt das ganze Gebiet immer noch in den Kinderschuhen.
Sehr interessant sind Feynmans Bemerkungen zum Speichern von Informationen auf engstem Raum. Wenn man nicht nur die Oberfläche, sondern auch das Innere der Materie zum Speichern verwendet, so kann man extrem viele Information darin unterbringen. Ein winziges Staubkörnchen, das man mit dem bloßen Auge gerade noch erkennen kann, bietet Raum für das gesamte Wissen der Welt! „Kommen Sie mir nicht mit Mikrofilmen“, scherzt Feynman. Ganz unten ist wirklich eine Menge Platz!
Das Leben nutzt schon lange diese Möglichkeit, wie Feynman selbst schreibt. Unsere gesamte Erbinformation ist in Form von DNA-Molekülen in jeder einzelnen Zelle gespeichert. Für ein Bit an Information werden dabei nur etwa 50 Atome benötigt.
Für Computer wären solche Speicherdichten hochinteressant! Man muss sie allerdings auch zügig verarbeiten können − man braucht also sehr schnelle Computer. Solche Computer müssen sehr klein sein, denn Informationen können in ihnen maximal mit Lichtgeschwindigkeit von einem Bauteil zum nächsten wandern. Feynman plädiert in seinem Vortrag nachdrücklich dafür, es zu versuchen.
Computer mit Schaltkreisen im Nanomaßstab könnten so leistungsfähig werden, dass sie ganz neue qualitative Merkmale aufweisen würden, vermutet Feynman. Wir sind mittlerweile tatsächlich sowohl in der Fertigung als auch bei den Anwendungen ein gutes Stück in diesen Bereich vorgestoßen! Gesichtserkennung und das Verstehen gesprochener Sprache halten zunehmend Einzug in unserem Alltag. Computer lernen Autofahren und sie spielen so gut Schach, dass selbst ein Weltmeister kaum noch eine Chance hat.
Feynman beendet seinen Vortrag mit der Ausschreibung zweier Preise:
Die andere Aufgabe erwies sich dagegen als wesentlich schwieriger. Erst im Jahr 1985 gelang dem Stanforder Graduiertenstudenten Tom Newman die Umsetzung: Er schrieb die erste Seite von Charles Dickens’ historischen Roman A Tale of Two Cities (eine Geschichte aus zwei Städten) mit einem Elektronenstrahl in der gewünschten Größe auf einen Stecknadelkopf.
In den Jahren nach Feynmans Vortrag bewegte sich noch kaum etwas bezüglich der Nanotechnik. Ein zentrales Problem sah Feynman später darin, vernünftige Anwendungen für Nanomaschinen zu finden. Das ist genau die Schwierigkeit, mit der die Nanotechnologie bis heute zu kämpfen hat: Es ist gar nicht so einfach, nützliche Anwendungen zu finden, bei denen die Nanotechnik gegenüber bereits etablierten Verfahren wirklich überlegen ist.
Betrachtet man Feynmans Vortrag von 1959 aus heutiger Sicht, so scheint er eine Art Startschuss für das gesamte Gebiet der Nanotechnologie gewesen zu sein. Es ist jedoch fraglich, ob sein Vortrag wirklich diese Bedeutung hatte. In den ersten drei Jahren wurde der Vortrag noch mehrfach abgedruckt, doch danach verschwand er von der Bildfläche. Erst als in den Jahren nach 1980 die Entwicklung der Nanotechnologie langsam Fahrt aufnahm, erinnerte man sich langsam wieder an ihn.
Vermutlich wäre die Nanotechnologie also auch ohne Feynmans Vortrag entstanden. Dennoch ist es auch heute noch ein Genuss, darin zu lesen und im Rückblick zu ergründen, was aus den vielen Ideen geworden ist, die Feynman zur Diskussion stellte.
last modified on 01 October 2017