Kapitel 5
Vom Forscher zum Lehrer und Nobelpreisträger

3  Die Feynman Lectures

Zusammenfassung des Buchkapitels:



Zusatzinformationen:

a) Der Aharonov-Bohm-Effekt − welche Felder sind real?
b) Wahrscheinlichkeitsamplituden beim Doppelspaltversuch
c) Doppelspaltversuch und Unschärferelation



a) Der Aharonov-Bohm-Effekt − welche Felder sind real?

In Kapitel 15-4 von Band zwei präsentiert Feynman einen interessanten Standpunkt: Er schlägt vor, ein Feld dann als wirklich zu bezeichnen, wenn man damit die Vorstellung der direkten Fernwirkung zwischen Ladungen vermeiden kann. In diesem Sinn wären das elektrische und magnetische Feld wirklich, solange wir die Bewegung von Ladungen durch klassische Bahnkurven beschreiben.

Interessanterweise ändert sich das, sobald die Quantenmechanik ins Spiel kommt: Ein Magnetfeld, das man in einer sehr langen stromführenden Spule erzeugt und darin einsperrt, kann beispielsweise das Verhalten einer quantenmechanischen Elektronenwelle beeinflussen, auch wenn die Welle gar nicht die Spule durchquert. Die Welle spaltet sich bei der Begegnung mit der Spule vielmehr in zwei Teilwellen auf, die links und rechts an der Spule vorbeifliegen, um sich dahinter zu überlagern − ganz ähnlich wie beim Doppelspaltversuch. Dabei verändert sich das Interferenzmuster der Elektronenwellen hinter der Spule, wenn man das Magnetfeld in der Spule verändert. Das ist verblüffend, da die Elektronenwelle dieses Magnetfeld gar nicht direkt spüren kann − sie fliegt ja nicht hindurch, sondern auf beiden Seiten außen herum! Mit dem Magnetfeld erreichen wir also keine lokale Beschreibung der Situation mehr. Die Elektronenwelle merkt indirekt etwas vom Magnetfeld in der Spule, da sie die Spule gleichsam umfließt. Man bezeichnet dieses überraschende Phänomen als Aharonov-Bohm-Effekt.

Eine lokale Beschreibung dieses Effekts erhalten wir, wenn wir anstelle des Magnetfeldes B das sogenannte Vektorpotential A verwenden − das ist ein neues Vektorfeld, dessen Wirbelstärke das Magnetfeld B ergibt (die entsprechende mathematische Formel lautet B = rot A ).



Bei einer sehr langen Spule ist das Magnetfeld B im Außenraum praktisch Null. Dennoch gibt es auch außerhalb der Spule ein Vektorpotential A, dessen Wirbelstärke dort Null ist, sodass außen kein Magnetfeld daraus resultiert.


Wir können nun einfach sagen, dass die stromführende Spule ein Vektorpotential A erzeugt. Der entscheidende Punkt ist nun, dass dieses Vektorpotential auch außerhalb der Spule existiert und dort direkt − also lokal − die Elektronenwellen beeinflussen kann, auch wenn es dort kein Magnetfeld gibt (denn außerhalb der Spule ist die Wirbelstärke des Vektorpotentials Null). In diesem Sinn wäre in der Quantenmechanik also nicht mehr das Magnetfeld, sondern das Vektorpotential real. Kein Wunder also, dass wir genau dieses Vektorpotential in der quantenmechanischen Schrödingergleichung wiederfinden, wenn es darum geht, magnetische Einflüsse zu beschreiben.



b) Wahrscheinlichkeitsamplituden beim Doppelspaltversuch

Die Wahrscheinlichkeiten P1 , P2 und P12, beim Doppelspaltversuch innerhalb beispielsweise der nächsten Minute einen Elektronentreffer an einer bestimmten Stelle auf dem Detektorschirm zu messen, sehen genauso aus wie die entsprechenden Intensitäten von Wasserwellen hinter einem Doppelspalt. Also wollen wir annehmen, dass es irgendeine Art von Elektronenwelle gibt, deren Intensität − also Amplitudenquadrat − wir gleich dieser Trefferwahrscheinlichkeit setzen. Die Amplitude dieser Elektronenwelle bezeichnen wir entsprechend als Wahrscheinlichkeitsamplitude. Wenn Loch eins offen ist, nennen wir die Amplitude der zugehörigen Welle ψ1, wenn Loch zwei offen ist, nennen wir sie ψ2, und bei beiden offenen Löchern entsprechend ψ12. Wir würden also schreiben:

P1 = |ψ1|2
P2 = |ψ2|2
P12 = |ψ12|2

Bei Wasserwellen müssten wir hier noch eine kleine Feinheit beachten: Da ihre Amplitude sich zeitlich dauernd ändert und ständig auf und ab schwingt, müssten wir für die Wellenintensität die zeitlich gemittelte Amplitude verwenden und quadrieren, damit diese Intensität zeitlich konstant ist.

Auch für die Elektronen brauchen wir eine zeitlich konstante Wellenintensität, denn die Wahrscheinlichkeit für einen Elektronentreffer an den verschiedenen Stellen des Detektorschirms innerhalb der nächsten Minute ist in unserem Experiment zeitlich konstant. Aus Kapitel 1.1 wissen wir aber, dass man für Elektronen streng genommen Amplituden braucht, die man sich als Pfeil auf einem Stück Papier vorstellen kann, was mathematisch einer sogenannten komplexen Zahl entspricht. Das Auf und Ab einer Wasserwelle an einer Stelle entspricht dabei der ständigen Drehung des dortigen Elektron-Amplitudenpfeils.

In den obigen Formeln bedeutet dann der Ausdruck |ψ|2, dass man die quadrierte Länge des Amplitudenpfeils nehmen muss. Zeitlich mitteln braucht man dann nicht mehr, denn die Pfeillänge ist in unserem Experiment konstant − nur der Drehwinkel ändert sich ständig. Wenn beide Löcher offen sind, müssen sich wie bei Wasserwellen die Amplituden der beiden Elektron-Einzelwellen von Loch eins und zwei zur Amplitude der Gesamtwelle addieren:

ψ12 = ψ1 + ψ2
P12 = |ψ1+ ψ2|2

Für die Elektron-Amplitudenpfeile bedeutet diese Addition, dass wir sie aneinander hängen müssen und dann vom Anfangspunkt des ersten Pfeils einen neuen Pfeil zum Endpunkt des zweiten Pfeils zeichnen müssen. Dieser neue Pfeil ist dann die Summe der beiden Pfeile. Von diesem Summenpfeil nehmen wir dann das Längenquadrat, um die Wahrscheinlichkeit für einen Elektronentreffer zu bestimmen.

Können wir damit das Streifenmuster im Trefferbild der Elektronen auf dem Detektorschirm erklären? Das ist kein Problem:

Dort, wo überhaupt keine Elektronen auftreffen, sind die beiden Amplitudenpfeile ψ1 und ψ2 entgegengesetzt zueinander orientiert, sodass ihre Summe einen Pfeil der Länge Null ergibt − die Wahrscheinlichkeit für einen Elektronentreffer ist dann ebenfalls Null. Im Experiment mit den Wasserwellen sind dies die Stellen, wo immer ein Wellenberg des einen Lochs auf ein Wellental des anderen Lochs trifft, sodass sich die beiden Einzelwellen dort gegenseitig neutralisieren.

An den Stellen, wo die meisten Elektronen auftreffen, sind die beiden Amplitudenpfeile dagegen parallel zueinander ausgerichtet, was einen optimal langen Summenpfeil ergibt. Entsprechend groß ist dessen quadrierte Pfeillänge und damit die Trefferwahrscheinlichkeit für die Elektronen.



Hinter dem Doppelspalt addieren sich die Wahrscheinlichkeitsamplituden der beiden Löcher zu einer Gesamtamplitude, deren Längenquadrat die Trefferwahrscheinlichkeit angibt.




c) Doppelspaltversuch und Unschärferelation

Feynman geht in seiner Vorlesung zum Doppelspaltversuch noch genauer darauf ein, wie wir messen könnten, durch welches Loch das Elektron geht, und was daraus folgt.

Dazu stellen wir direkt hinter dem Doppelspalt zwischen den beiden Spalten oder Löchern eine starke Lichtquelle auf. Da Elektronen Licht streuen, sollten wir mit einem empfindlichen Lichtdetektor erkennen können, durch welches Loch jedes Elektron gegangen ist. Wir müssten beispielsweise einen kleinen Lichtblitz in der Umgebung des entsprechenden Lochs wahrnehmen. Genau das geschieht auch, wenn die Lichtquelle stark genug ist: Bei jedem Elektron, das auf dem Detektorschirm auftrifft, messen wir kurz zuvor einen Lichtblitz an genau einem der beiden Löcher − nicht aber an beiden Löchern zugleich. Die Behauptung A muss also richtig sein: Jedes Elektron geht entweder durch Loch eins oder durch Loch zwei

Aber oben haben wir anhand des Streifenmusters im Trefferbild überzeugend dargelegt, dass Behauptung A falsch sein muss! Wie kann das sein?

Nun, wir haben durch die Lichtquelle das Experiment so verändert, dass wir jetzt sehen können, durch welches Loch jedes einzelne Elektron geht. Behauptung A muss also in diesem veränderten Experiment richtig sein. Dann muss aber auch P12 = P1 +P2 gelten, so wie bei den Gewehrkugeln. Schauen wir auf das Trefferbild auf dem Detektorschirm, so bestätigt sich diese Vermutung: Das Streifenmuster ist verschwunden und wir erhalten ein ziemlich unscharfes Abbild der beiden Löcher. Es gibt keine Interferenz mehr!

Wenn wir das Licht wieder ausmachen und nicht mehr wissen, durch welches Loch jedes Elektron hindurchfliegt, stellt sich das Streifenmuster im Trefferbild wieder ein und wir würden daraus wieder schließen, dass Behauptung A falsch sein muss.

Irgendwie scheint das Licht die Elektronen so zu stören, dass das Interferenzmuster − also das Streifenmuster im Trefferbild − verloren geht. Also machen wir das Licht schwächer und hoffen so, dass die Störung kleiner wird und das Interferenzmuster zurückkehrt. Das tut es auch: Je schwächer wir das Licht machen, umso deutlicher wird das Streifenmuster wieder sichtbar.

Schauen wir uns das genauer an: Wenn wir das Licht schwächer machen, macht sich die „Klumpigkeit“ des Lichts bemerkbar: Licht besteht aus einzelnen Photonen, wie wir wissen. Wenn wir die Lichtquelle schwächer machen, sendet sie weniger Photonen aus und die Elektronen werden nicht mehr jedes Mal von einem Photon getroffen, wenn sie die Löcher durchfliegen. Es gibt also nun auch Elektronen, von denen wir nicht mehr wissen, durch welches Loch sie geflogen sind.

Wenn wir die Treffer genau dieser Elektronen auf dem Detektorschirm rot einfärben, ergeben nur diese roten Trefferpunkte das typisch streifige Interferenzmuster. Die übrigen Trefferpunkte, bei denen wir wissen, durch welches Loch das zugehörige Elektron gegangen ist, tun dies dagegen nicht − sie ergeben analog zu Gewehrkugeln das unscharfe Abbild der beiden Löcher. Nur bei den Elektronen, die wir an den Löchern nicht gesehen haben, erhalten wir Interferenz! Das sind genau die Elektronen, die nicht von einem Photon getroffen wurden.

Die Wechselwirkung mit den Photonen stört also die Elektronen so stark, dass die Interferenz verloren geht. Um die störende Wirkung der Photonen zu verringern, sollten wir vielleicht besser ihre Energie und nicht ihre Anzahl verringern. Wir würden also nicht die Intensität des Lichts reduzieren, sondern seine Farbe verändern und es röter machen. Mit den energiearmen Photonen gelingt es uns dann vielleicht, die Elektronen an den beiden Löchern noch zu erkennen, ohne sie wesentlich zu stören.

Doch auch das scheitert, wie Feynman erklärt: Da röteres Licht eine größere Wellenlänge besitzt, sehen wir nur noch einen großen verschwommenen Blitz. Da die beiden Löcher sehr eng beieinander liegen, können wir kaum noch sagen, durch welches Loch das Elektron gegangen ist. Je unsicherer wir dabei werden, umso deutlicher wird das streifige Interferenzmuster im Trefferbild wieder sichtbar.

Auch andere Versuche scheitern. Man kann machen was man will: Es ist unmöglich, einen Apparat zu entwickeln, der feststellt, durch welches Loch das Elektron geht, ohne dass er gleichzeitig die Elektronen so weit stört, dass das Interferenzbild zerstört wird. So formuliert Feynman in seiner Vorlesung das grundlegende Prinzip, das im Doppelspaltexperiment sichtbar wird. Dieses Prinzip geht auf Werner Heisenberg zurück und trägt den Namen Heisenberg’sches Unbestimmtheitsprinzip oder auch Heisenberg’sche Unschärferelation. Heisenberg hatte es zwar anders formuliert, aber die Bedeutung ist dieselbe, wie Feynman in seiner Vorlesung zeigt (Band 3, Kapitel 1-8).



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last modified on 02 October 2017