Wenn man sich als junger Mensch dafür entscheidet, Physik zu studieren, dann oft aus einem Grund wie den folgenden: Man hat beispielsweise Einsteins berühmte Formel E = m c2 gesehen und sich gefragt, wo sie herkommt und was sie bedeutet. Vielleicht hat man auch irgendwo gehört, dass die Gravitation Raum und Zeit krümmt oder dass in der Quantenmechanik Teilchen gleichzeitig hier und dort sein können. Das sind Dinge, die man unbedingt verstehen möchte!
Die Physik, die man in der Schule und in den ersten Studiensemestern kennenlernt, hat von all dem meist wenig zu bieten. Hinzu kommt, dass beim Abhandeln der Grundlagen nach Lehrbuchschema oft nichts mehr von der Faszination zu spüren ist, die diese einst auf unsere Vorfahren ausübten − das, was heute als altbackenes Anfängerthema gilt, war schließlich auch einmal die vorderste Front der Forschung. Konnte man nicht diese Begeisterung auch heute noch vermitteln?
Am Caltech sah man schon Anfang der 1960er Jahre diese Herausforderung und versuchte, ein neues Konzept für den zweijährigen Physik-Einführungskurs zu entwickeln. Schließlich schlug man vor, Feynman solle die Vorlesungen ausarbeiten und mindestens einmal auch selbst halten.
Feynman nahm die Herausforderung gerne an und stürzte sich voller Elan in die Arbeit. Von 1961 bis 1963 hielt er zweimal pro Woche vor etwa 180 Studenten seine Vorlesung und versuchte, ihnen sowohl die wichtigen physikalischen Grundlagen zu vermitteln als auch Einblicke in die moderne Physik zu geben. Dies tat er auf unvergleichliche Weise, so wie nur er es vermochte. Jede Vorlesung war dabei gespickt mit originellen Ideen und Gedankengängen, die man so kaum in einem anderen Lehrbuch fand.
Die meisten seiner Studenten gaben später an, sie hätten die Vorlesungen als
Höhepunkte ihres Studiums empfunden.
Einige hatten allerdings auch weniger gute Erinnerungen und fühlten sich
von der Fülle des angebotenen Stoffs einfach überfordert.
Manche gaben schließlich frustriert auf.
Doch dafür schauten andere immer öfter vorbei: Studenten höherer Semester, Doktoranden und auch so manches Mitglied der physikalischen Fakultät. Für sie war die Art, wie Feynman den Lehrstoff präsentierte, so erfrischend anders als die Standardmethode, die sie selbst im Studium kennengelernt hatten. Am nützlichsten sind Feynmans Vorlesungen wohl für diejenigen, die bereits einige Grundkenntnisse mitbringen.
Es ist ein großes Glück, dass man sich am Caltech von Anfang an entschlossen hatte, die Vorlesungen auch in Buchform unter dem Titel The Feynman Lectures on Physics herauszubringen. Sie gehören zu den erfolgreichsten Lehrbüchern, die in der Physik je geschrieben wurden. Im Internet ist die englische Version unter http://feynmanlectures.caltech.edu/index.html frei zugänglich.
Einer der Gründe, die Feynmans Vorlesungen so faszinierend machen, liegt darin, dass er auch scheinbar altbekannte Gesetzmäßigkeiten und Begriffe immer wieder hinterfragt. Was bedeuten die Gesetze und die darin enthaltenen physikalischen Größen?
Ein Beispiel dafür ist der scheinbar so selbstverständliche Begriff der Zeit. „Was ist Zeit?“ fragt Feynman und kommt zu dem Schluss, dass wir mit einer präzisen Definition in Schwierigkeiten geraten. Darauf komme es aber auch gar nicht an, denn wichtig sei nur, wie wir sie messen können. Schon Albert Einstein hatte bekräftigt: „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.“
Wie tief diese moderne Auffassung der Zeit geht, wird deutlich, wenn wir sie mit der Definition von Isaac Newton vergleichen, der im Jahr 1687 schrieb: „Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand.“ Dieser absolute Begriff einer „wahren“ Zeit ist laut Einstein und Feynman physikalisch sinnlos. Feynman arbeitet diese Erkenntnis in seiner Vorlesung klar heraus! Wo sonst kann man in einem Lehrbuch für Studienanfänger so etwas finden?
Ein anderes Beispiel für Feynmans erfrischende Betrachtungsweise physikalischer Grundlagen ist Newtons Grundgesetz der Mechanik: Kraft gleich Masse mal Beschleunigung oder kurz F = m a. Aber was ist eine Kraft eigentlich?
Feynman überlegt: Wäre nicht die denkbar präziseste und schönste Definition der Kraft, einfach zu sagen, dass Kraft die Masse eines Objekts mal seiner Beschleunigung ist? Nur was soll Newtons Grundgesetz dann noch bedeuten?
Der wahre Inhalt des Newtonschen Gesetzes ist nach Feynman vielmehr dieser: Die Kraft muss zusätzlich zum Gesetz F = m a einige unabhängige Eigenschaften haben, ohne dass wir von vornherein sagen können, welche das genau sind. Das Newtonsche Grundgesetz ist also unvollständig und sagt, dass wir bei einer Bewegung das Produkt aus Masse mal Beschleunigung studieren sollten, es Kraft nennen können und dann in konkreten Situationen nach zusätzlichen Eigenschaften dieser Kraft suchen müssen.
Auf diese Weise konnte beispielsweise Newton die Kraft zwischen zwei Himmelskörpern durch sein Gravitationsgesetz ausdrücken und damit die Bahnen der Planeten korrekt berechnen. Diese physikalische Erkenntnis geht über eine rein mathematische Definition der Kraft weit hinaus!
Aber wie kann eine Naturwissenschaft wie die Physik funktionieren, wenn nicht jedes Ding darin exakt definiert ist? Feynman antwortet, dass wenn wir auf einer präzisen Definition der Kraft bestehen, wir diese nie erhalten werden! Physikalische Begriffe und Gesetze sind Idealisierungen, sie sind Näherungen, die sich nur selten exakt definieren lassen.
Ein weiteres Beispiel ist der Begriff des elektromagnetischen Felds. Was sind diese Felder wirklich? Feynman kommt zu dem Schluss, dass diese Frage wenig Sinn macht. Felder sind ein sehr nützliches Hilfsmittel, denn sie ermöglichen eine lokale Beschreibung elektromagnetischer Phänomene ohne direkte Fernwirkung. Die Ladungen erzeugen dabei zunächst elektrische und magnetische Felder im Raum, und erst der Wert dieser Felder am Ort einer anderen Ladung bestimmt dann, welche Kraft dort auf diese Ladung wirkt. Diese Art der Beschreibung ist so ungemein nützlich, dass man die Felder in gewissem Sinn für real halten könnte. Aber es geht notfalls auch ohne Felder.
Ein absolutes Highlight in den Feynman Lectures ist die Beschreibung des berühmten Doppelspaltversuchs. Alles, was die Quantenmechanik so geheimnisvoll macht, werde hier sichtbar − so Feynman.
Der Versuchsaufbau ist sehr einfach: Zunächst einmal gibt es eine Quelle, die einen Strahl einzelner Teilchen ausstößt, beispielsweise Elektronen. In einiger Entfernung von der Elektronenquelle bauen wir eine Wand auf, die zwei eng beieinanderliegende kleine Löcher besitzt. Es können auch dünne Spalte sein − daher der Name Doppelspaltversuch. Die Elektronen können durch diese beiden Löcher hindurchfliegen und treffen in einiger Entfernung dahinter auf eine Detektorfläche, die die ankommenden Elektronen registriert.
Welches Trefferbild aus Punkten erhalten wir im Lauf der Zeit auf der Detektorfläche?
Angenommen, die Elektronen würden sich wie makroskopische Objekte verhalten, beispielsweise wie Gewehrkugeln. Dann müssten die Elektronen ziemlich geradlinig entweder durch das eine oder durch das andere Loch fliegen. Insgesamt sollte so auf der Detektorfläche als Trefferbild ein relativ unscharfes Abbild der beiden winzigen Löcher entstehen. Falls wir nur ein Loch offen lassen, erhalten wir natürlich nur das unscharfe Abbild des offenen Lochs.
Schauen wir nun im realen Experiment nach, ob sich diese Erwartung bestätigt: Wenn wir nur eines der beiden Löcher offen lassen, ist das tatsächlich der Fall: Wir sehen dann im Trefferbild bis auf einige hier unwichtige Feinheiten ein unscharfes Abbild des offenen Lochs. Aber wenn wir beide Löcher offen lassen, geschieht etwas vollkommen Unerwartetes: Das Trefferbild, das hier im Lauf der Zeit entsteht, sieht vollkommen anders aus als die Summe der beiden Trefferbilder mit nur je einem offenen Loch. Wir sehen stattdessen ein Muster aus Streifen mit abwechselnd sehr vielen und sehr wenigen Treffern. Die Trefferchancen P1 durch Loch eins alleine und P2 durch Loch zwei alleine addieren sich also nicht einfach zur Trefferchance P12, wenn beide Löcher zugleich offen sind. P12 ist nicht einfach gleich der Summe P1 + P1.
Mit Gewehrkugeln ist das nicht zu erklären. Elektronen verhalten sich offenbar anders − aber wie?
Einen Anhaltspunkt gibt uns das Verhalten von Wellen: Wellen können interferieren.
Schickt man Wellen durch zwei nebeneinanderliegende Öffnungen, so ergeben sich dahinter
abwechselnde Streifen mit „konstruktiver“ und „destruktiver“ Interferenz,
d. h. hoher und niedriger Wellenintensität.
Das ist genau das, was wir brauchen.
Aber wie kann das sein? Elektronen sind Teilchen und keine Wellen! Wellen sind weiträumig ausgedehnt, Elektronen aber nicht. Es wäre also gut, wenn wir die Eigenschaft der Elektronen, „klumpig“ zu sein, irgendwie mit dem Interferenzvermögen von Wellen zusammenbringen könnten.
Wie das geht, liegt auf der Hand: Nicht das Elektron selbst ist eine Welle. Es ist die Wahrscheinlichkeit für einen Elektronentreffer, die sich wie die Intensität einer Welle verhalten muss. Also müssen wir annehmen, dass es irgendeine Art von Elektronen-Quantenwelle gibt, deren Intensität die Trefferwahrscheinlichkeit ergibt. Je stärker die Welle irgendwo schwingt, umso wahrscheinlicher ist es, dort ein Elektron anzutreffen.
Da Elektronen in Klumpen am Detektorschirm ankommen, sollten sie in unserem Experiment analog zu Gewehrkugeln entweder durch Loch eins oder durch Loch zwei gekommen sein. Feynman stellt also die folgende Behauptung auf:
Nur was geschieht, wenn wir mithilfe eines winzigen Detektors registrieren, durch welches Loch das Elektron gegangen ist? Behauptung A muss jetzt zwangsläufig stimmen. Also müssen sich jetzt auch die Wahrscheinlichkeiten addieren − und tatsächlich tun sie das auch! Das Streifenmuster ist verschwunden. Es gibt keine Interferenz mehr!
Was ist denn jetzt mit Behauptung A? Stimmt sie oder stimmt sie nicht? Feynman sagt dazu in etwas abgewandelter Form ungefähr Folgendes: Nur wenn der Durchgang des Elektrons durch die Löcher irgendwelche Spuren in unserer makroskopischen Welt hinterlässt, anhand derer wir zumindest im Prinzip feststellen können, durch welches Loch das Elektron gegangen ist, dann kann man sagen, dass das Elektron entweder durch Loch eins oder Loch zwei gegangen ist. Ansonsten kann man das nicht sagen, und auch das Elektron weiß es gewissermaßen selbst nicht.
Aber wie funktioniert das alles? Wie kann das alles sein? „Niemand hat irgendeinen Mechanismus dahinter gefunden“, sagt Feynman, und weiter: „Niemand kann mehr erklären, als wir gerade erklärt haben. […] Wir wissen nicht, wie man vorhersagen könnte, was unter vorgegebenen Umständen passieren würde, und wir glauben heute, dass es unmöglich ist − dass das einzige, was vorhergesagt werden kann, die Wahrscheinlichkeit verschiedener Ereignisse ist.“
Feynman hat nichts unversucht gelassen, bei den verschiedensten Gelegenheiten diese zentrale Erkenntnis der modernen Naturwissenschaft den Menschen begreiflich zu machen. Berühmt ist beispielsweise Feynmans „I think I can safely say that nobody understands quantum mechanics“ (Ich glaube, ich kann sicher sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht). Er warnt sogar davor, sich in die Frage „Wie kann das alles sein?“ zu stark zu verbeißen, denn dies ziehe einen in den Abgrund, hinein in eine Sackgasse, aus der noch niemand entkommen ist. „Just relax and enjoy“ (entspann dich einfach und genieße es) lautet daher sein Rat.
a) Der Aharonov-Bohm-Effekt − welche Felder sind real?
b) Wahrscheinlichkeitsamplituden beim Doppelspaltversuch
c) Doppelspaltversuch und Unschärferelation
Interessanterweise ändert sich das, sobald die Quantenmechanik ins Spiel kommt: Ein Magnetfeld, das man in einer sehr langen stromführenden Spule erzeugt und darin einsperrt, kann beispielsweise das Verhalten einer quantenmechanischen Elektronenwelle beeinflussen, auch wenn die Welle gar nicht die Spule durchquert. Die Welle spaltet sich bei der Begegnung mit der Spule vielmehr in zwei Teilwellen auf, die links und rechts an der Spule vorbeifliegen, um sich dahinter zu überlagern − ganz ähnlich wie beim Doppelspaltversuch. Dabei verändert sich das Interferenzmuster der Elektronenwellen hinter der Spule, wenn man das Magnetfeld in der Spule verändert. Das ist verblüffend, da die Elektronenwelle dieses Magnetfeld gar nicht direkt spüren kann − sie fliegt ja nicht hindurch, sondern auf beiden Seiten außen herum! Mit dem Magnetfeld erreichen wir also keine lokale Beschreibung der Situation mehr. Die Elektronenwelle merkt indirekt etwas vom Magnetfeld in der Spule, da sie die Spule gleichsam umfließt. Man bezeichnet dieses überraschende Phänomen als Aharonov-Bohm-Effekt.
Eine lokale Beschreibung dieses Effekts erhalten wir, wenn wir anstelle des Magnetfeldes B das sogenannte Vektorpotential A verwenden − das ist ein neues Vektorfeld, dessen Wirbelstärke das Magnetfeld B ergibt (die entsprechende mathematische Formel lautet B = rot A ).
Wir können nun einfach sagen, dass die stromführende Spule ein Vektorpotential A erzeugt.
Der entscheidende Punkt ist nun, dass dieses Vektorpotential auch außerhalb
der Spule existiert und dort direkt − also lokal − die Elektronenwellen beeinflussen kann,
auch wenn es dort kein Magnetfeld gibt (denn außerhalb der Spule ist die Wirbelstärke des
Vektorpotentials Null). In diesem Sinn wäre in der Quantenmechanik also nicht mehr das
Magnetfeld, sondern das Vektorpotential real. Kein Wunder also, dass wir genau dieses
Vektorpotential in der quantenmechanischen Schrödingergleichung wiederfinden, wenn es
darum geht, magnetische Einflüsse zu beschreiben.
Auch für die Elektronen brauchen wir eine zeitlich konstante Wellenintensität, denn die Wahrscheinlichkeit für einen Elektronentreffer an den verschiedenen Stellen des Detektorschirms innerhalb der nächsten Minute ist in unserem Experiment zeitlich konstant. Aus Kapitel 1.1 wissen wir aber, dass man für Elektronen streng genommen Amplituden braucht, die man sich als Pfeil auf einem Stück Papier vorstellen kann, was mathematisch einer sogenannten komplexen Zahl entspricht. Das Auf und Ab einer Wasserwelle an einer Stelle entspricht dabei der ständigen Drehung des dortigen Elektron-Amplitudenpfeils.
In den obigen Formeln bedeutet dann der Ausdruck |ψ|2, dass man die quadrierte Länge des Amplitudenpfeils nehmen muss. Zeitlich mitteln braucht man dann nicht mehr, denn die Pfeillänge ist in unserem Experiment konstant − nur der Drehwinkel ändert sich ständig. Wenn beide Löcher offen sind, müssen sich wie bei Wasserwellen die Amplituden der beiden Elektron-Einzelwellen von Loch eins und zwei zur Amplitude der Gesamtwelle addieren:
Können wir damit das Streifenmuster im Trefferbild der Elektronen auf dem Detektorschirm erklären? Das ist kein Problem:
Dort, wo überhaupt keine Elektronen auftreffen, sind die beiden Amplitudenpfeile ψ1 und ψ2 entgegengesetzt zueinander orientiert, sodass ihre Summe einen Pfeil der Länge Null ergibt − die Wahrscheinlichkeit für einen Elektronentreffer ist dann ebenfalls Null. Im Experiment mit den Wasserwellen sind dies die Stellen, wo immer ein Wellenberg des einen Lochs auf ein Wellental des anderen Lochs trifft, sodass sich die beiden Einzelwellen dort gegenseitig neutralisieren.
An den Stellen, wo die meisten Elektronen auftreffen, sind die beiden Amplitudenpfeile dagegen parallel zueinander ausgerichtet, was einen optimal langen Summenpfeil ergibt. Entsprechend groß ist dessen quadrierte Pfeillänge und damit die Trefferwahrscheinlichkeit für die Elektronen.
Dazu stellen wir direkt hinter dem Doppelspalt zwischen den beiden Spalten oder Löchern eine starke Lichtquelle auf. Da Elektronen Licht streuen, sollten wir mit einem empfindlichen Lichtdetektor erkennen können, durch welches Loch jedes Elektron gegangen ist. Wir müssten beispielsweise einen kleinen Lichtblitz in der Umgebung des entsprechenden Lochs wahrnehmen. Genau das geschieht auch, wenn die Lichtquelle stark genug ist: Bei jedem Elektron, das auf dem Detektorschirm auftrifft, messen wir kurz zuvor einen Lichtblitz an genau einem der beiden Löcher − nicht aber an beiden Löchern zugleich. Die Behauptung A muss also richtig sein: Jedes Elektron geht entweder durch Loch eins oder durch Loch zwei
Aber oben haben wir anhand des Streifenmusters im Trefferbild überzeugend dargelegt, dass Behauptung A falsch sein muss! Wie kann das sein?
Nun, wir haben durch die Lichtquelle das Experiment so verändert, dass wir jetzt sehen können, durch welches Loch jedes einzelne Elektron geht. Behauptung A muss also in diesem veränderten Experiment richtig sein. Dann muss aber auch P12 = P1 +P2 gelten, so wie bei den Gewehrkugeln. Schauen wir auf das Trefferbild auf dem Detektorschirm, so bestätigt sich diese Vermutung: Das Streifenmuster ist verschwunden und wir erhalten ein ziemlich unscharfes Abbild der beiden Löcher. Es gibt keine Interferenz mehr!
Wenn wir das Licht wieder ausmachen und nicht mehr wissen, durch welches Loch jedes Elektron hindurchfliegt, stellt sich das Streifenmuster im Trefferbild wieder ein und wir würden daraus wieder schließen, dass Behauptung A falsch sein muss.
Irgendwie scheint das Licht die Elektronen so zu stören, dass das Interferenzmuster − also das Streifenmuster im Trefferbild − verloren geht. Also machen wir das Licht schwächer und hoffen so, dass die Störung kleiner wird und das Interferenzmuster zurückkehrt. Das tut es auch: Je schwächer wir das Licht machen, umso deutlicher wird das Streifenmuster wieder sichtbar.
Schauen wir uns das genauer an: Wenn wir das Licht schwächer machen, macht sich die „Klumpigkeit“ des Lichts bemerkbar: Licht besteht aus einzelnen Photonen, wie wir wissen. Wenn wir die Lichtquelle schwächer machen, sendet sie weniger Photonen aus und die Elektronen werden nicht mehr jedes Mal von einem Photon getroffen, wenn sie die Löcher durchfliegen. Es gibt also nun auch Elektronen, von denen wir nicht mehr wissen, durch welches Loch sie geflogen sind.
Wenn wir die Treffer genau dieser Elektronen auf dem Detektorschirm rot einfärben, ergeben nur diese roten Trefferpunkte das typisch streifige Interferenzmuster. Die übrigen Trefferpunkte, bei denen wir wissen, durch welches Loch das zugehörige Elektron gegangen ist, tun dies dagegen nicht − sie ergeben analog zu Gewehrkugeln das unscharfe Abbild der beiden Löcher. Nur bei den Elektronen, die wir an den Löchern nicht gesehen haben, erhalten wir Interferenz! Das sind genau die Elektronen, die nicht von einem Photon getroffen wurden.
Die Wechselwirkung mit den Photonen stört also die Elektronen so stark, dass die Interferenz verloren geht. Um die störende Wirkung der Photonen zu verringern, sollten wir vielleicht besser ihre Energie und nicht ihre Anzahl verringern. Wir würden also nicht die Intensität des Lichts reduzieren, sondern seine Farbe verändern und es röter machen. Mit den energiearmen Photonen gelingt es uns dann vielleicht, die Elektronen an den beiden Löchern noch zu erkennen, ohne sie wesentlich zu stören.
Doch auch das scheitert, wie Feynman erklärt: Da röteres Licht eine größere Wellenlänge besitzt, sehen wir nur noch einen großen verschwommenen Blitz. Da die beiden Löcher sehr eng beieinander liegen, können wir kaum noch sagen, durch welches Loch das Elektron gegangen ist. Je unsicherer wir dabei werden, umso deutlicher wird das streifige Interferenzmuster im Trefferbild wieder sichtbar.
Auch andere Versuche scheitern. Man kann machen was man will: Es ist unmöglich, einen Apparat zu entwickeln, der feststellt, durch welches Loch das Elektron geht, ohne dass er gleichzeitig die Elektronen so weit stört, dass das Interferenzbild zerstört wird. So formuliert Feynman in seiner Vorlesung das grundlegende Prinzip, das im Doppelspaltexperiment sichtbar wird. Dieses Prinzip geht auf Werner Heisenberg zurück und trägt den Namen Heisenberg’sches Unbestimmtheitsprinzip oder auch Heisenberg’sche Unschärferelation. Heisenberg hatte es zwar anders formuliert, aber die Bedeutung ist dieselbe, wie Feynman in seiner Vorlesung zeigt (Band 3, Kapitel 1-8).
last modified on 02 October 2017