Feynmans Lehrtätigkeit am Caltech im akademischen Jahr 1962/63 beschränkte sich nicht auf seine berühmten Feynman Lectures für Studienanfänger. Neben anderen Veranstaltungen hielt er jede Woche eine Vorlesung zur Gravitationstheorie für fortgeschrittene Studenten, Doktoranden und Postdoktoranden. Anhand einer Mitschrift wurde die Vorlesung unter dem Titel Feynman Lectures on Gravitation auch in Buchform veröffentlicht. Wie ging Feynman darin vor, um die Theorie der Gravitation zu entwickeln?
Der erste erfolgreiche Versuch, eine Theorie der Gravitation aufzustellen, ist schon über 300 Jahre alt: Im Jahr 1687 veröffentlichte Isaac Newton sein berühmtes Gravitationsgesetz, das wir heute so schreiben:
mit der Gravitationskonstante G, den beiden Massen m (z.B. die Masse der Erde) und M (z.B. die Masse der Sonne) und deren Abstand r. Die Gravitationskonstante G ist dabei so winzig, dass die Gravitationskraft zwischen zwei Ein-Kilogramm-Gewichten in einem Meter Abstand gerade einmal rund sechs Hundertmilliardstel Newton beträgt.
Noch deutlicher wird die geringe Stärke der Gravitation, wenn wir die Gravitationsanziehung zwischen zwei Protonen mit deren elektrischer Abstoßung vergleichen: Die elektrische Kraft ist um rund 36 Zehnerpotenzen stärker! Damit ist die Gravitation bei Weitem die schwächste bekannte Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen und spielt dort normalerweise überhaupt keine Rolle.
Warum ist das so? Es ist sehr interessant, Feynmans diversen Spekulationen dazu zu folgen, doch aus heutiger Sicht hat sich bisher keine davon als stichhaltig erwiesen. Auch heute ist diese Frage noch immer nicht überzeugend beantwortet.
Newtons Gravitationsgesetz beschreibt die Wirkung der Gravitation bereits sehr genau. Und dennoch erfasst es die Natur nicht perfekt, denn es unterstellt, dass sich die Wirkung der Gravitation ohne jede Zeitverzögerung zwischen den Massen auswirkt. Das widerspricht der Speziellen Relativitätstheorie, nach der sich jeder physikalische Effekt maximal mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann.
Also war es naheliegend, dass Newtons Gravitationsgesetz irgendwie abgeändert werden muss, um die zeitverzögerte Auswirkung der Gravitation zu berücksichtigen. Einstein erkannte dies und widmete sich seit etwa 1907 diesem Ziel. Nach und nach fand er heraus, dass er mithilfe der Differenzialgeometrie Raum und Zeit als ein einziges mathematisches Objekt − die sogenannte Raumzeit − behandeln konnte, in der Raum und Zeit eng miteinander verknüpft sind. Dieser Raumzeit konnte er dann eine Art von Krümmung zuordnen, durch die sich die Gravitation relativistisch korrekt beschreiben ließ.
Feynman wollte in seiner Vorlesung den mittlerweile fast fünfzig Jahre alten Gedankengang Einsteins nicht einfach wiederholen. Stattdessen überlegte er, ob man nicht dort anfangen könnte, wo sich die Mehrzahl der Physiker mittlerweile tummelte: in der Teilchenphysik und der zugehörigen Quantenfeldtheorie. Im Idealfall sollte sich auf diesem Weg automatisch eine Quantentheorie der Gravitation ergeben, aus der sich Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als klassischer Grenzfall ableiten ließe.
Die Quantenelektrodynamik basiert auf masselosen Photonen mit Spin 1. Für die Quantengravitation bräuchte man entsprechende Gravitations-Photonen − oder kurz: Gravitonen. Diese Gravitonen vermitteln dann in einer Quantentheorie die Gravitation zwischen massiven Objekten.
Natürlich kann man anzweifeln, ob man zur Beschreibung der Gravitation überhaupt eine Quantentheorie braucht. Gibt es irgendwelche beobachtbaren Effekte der Gravitation, die nur eine Quantentheorie erklären kann?
In einem Atom spielt die Gravitation zwischen Elektronen und Atomkern im Vergleich zur elektrischen Anziehung jedenfalls keine messbare Rolle. Auch andere Quanteneffekte der Gravitation − beispielsweise die Auswirkung einzelner Gravitonen − sind winzig klein und kaum messbar.
Andererseits gilt: In der Quantentheorie kann man für ein Teilchen − sagen wir ein Elektron − Zustände konstruieren, in denen es zugleich an zwei Orten ist, beispielsweise an den beiden Löchern eines Doppelspalts (siehe auch die Zusatzinformationen weiter unten). Damit es solche Zwei-Orte-Quantenzustände des Elektrons geben kann, sollte sich auch das zugehörige Gravitationsfeld des Elektrons in einem passenden quantenmechanischen Schwebezustand befinden. Dieses Argument ist ziemlich überzeugend − zumindest im Prinzip brauchen wir also vermutlich eine Quanten-Gravitationstheorie.
Gibt es überhaupt Phänomene im Universum, bei denen man ohne eine Quantentheorie der Gravitation nicht auskommt? Erst wenn große Massen und sehr kleine Raum- und Zeitabstände zusammentreffen, werden Gravitation und Quantentheorie zugleich relevant. So etwas kann in unserem Universum letztlich nur beim Urknall oder im Inneren von Schwarzen Löchern erreicht werden. Genau dort werden wir sie also brauchen: die Quantengravitation.
Welche Eigenschaften müssen Gravitonen haben, um als Vermittlerteilchen die Gravitation zu erklären?
Da die Gravitation analog zur elektrischen Kraft quadratisch mit zunehmendem Abstand abnimmt, müssen Gravitonen analog zu Photonen masselos sein. Hätten Gravitonen eine Masse, so würde die Gravitation viel schneller abfallen.
Als nächstes muss der Spin der Gravitonen geklärt werden, also ihr quantenmechanischer Eigendrehimpuls. Dieser kann nach den Regeln der Quantenmechanik halb- oder ganzzahlig sein. Feynman geht nach und nach alle Möglichkeiten durch und kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass nur Spin 2 in Frage kommt.
Anschließend überprüft Feynman Schritt für Schritt, ob die entstehende Quantentheorie der Gravitation im klassischen Grenzfall zu Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie führt, so wie analog Photonen zu den Maxwell-Gleichungen des elektromagnetischen Felds führen. Tatsächlich ist das der Fall, wie Feynman zeigen kann (übrigens nicht als Einziger).
Nachdem Feynman erst einmal die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins auf seine ganz eigene Weise hergeleitet hatte, beschäftigte er sich auch ausführlich mit den Konsequenzen dieser Theorie. Dabei fiel ihm etwas Bemerkenswertes auf: Die Gesamtenergie des Universums könnte tatsächlich gleich null sein!
Zumindest ergibt sich dies, wenn man die damals nur annähernd bekannten Parameter wie Dichte und Ausdehnungsrate des Universums zugrunde legt: negative Gravitationsenergie und die in der Masse der Materie eingesperrte positive Energie haben dann dieselbe Größenordnung.
In Einsteins Gravitationstheorie hat das Universum allerdings nur dann die Gesamtenergie null, wenn die Materie darin eine bestimmte mittlere Dichte aufweist, die man als kritische Dichte bezeichnet. Moderne Messungen zeigen, dass das Universum offenbar tatsächlich genau diese kritische Dichte aufweist, die einer Masse von knapp sechs Wasserstoffatomen pro Kubikmeter entspricht − wobei es natürlich nicht unbedingt Wasserstoffatome sein müssen.
Es sieht also ganz so aus, als habe unser Universum tatsächlich die Gesamtenergie null. Man braucht also praktisch keine Energie, um unser Universum zu erzeugen. Das Universum wäre demnach so etwas wie das ultimative Gratispaket − ein faszinierender Gedanke! Mehr dazu, wie man ohne Energiezufuhr ein komplettes Universum erschaffen kann, gibt es unten in den Zusatzinformationen.
Natürlich beschäftigte sich Feynman in seiner Vorlesung nicht nur mit der klassischen Gravitationstheorie, die ja schon Albert Einstein gefunden hatte. Feynmans Spin-2-Gravitonen waren schließlich quantenmechanischer Natur und sollten demnach eine Basis für eine Quantentheorie der Gravitation liefern − so hoffte Feynman zumindest.
Feynmans Fahrplan für seine weiteren Untersuchungen der Quantengravitation war dabei recht einfach: Verwende masselose Spin-2-Gravitonen und arbeite dann die Regeln aus, nach denen sich die entsprechenden Feynman-Diagramme in Formeln übersetzen lassen. Berechne dann mit diesen Regeln zunächst einfache und dann komplexere Diagramme und schau nach, was geschieht.
Analog zur QED stieß Feynman erneut auf die bekannten Unendlichkeiten bei Diagrammen, die geschlossene Schleifen enthalten. In der QED ließ sich das Problem durch Renormierung lösen. Galt das auch für die Quantengravitation?
Feynman konnte diese Frage nicht endgültig beantworten, aber er bezweifelte dies und vermutete (aus heutiger Sicht zu Recht) in seiner Vorlesung, dass seine Theorie der Quantengravitation nicht renormierbar sei. Er wisse allerdings nicht, ob dies ein bedeutsamer Einwand gegen die Theorie sei − Feynman hielt die Renormierung auch in der QED lediglich für eine elegante Methode, die Unendlichkeiten unter den Teppich zu kehren.
Die Suche nach einer renormierbaren Quantentheorie der Gravitation ist ein Problem, mit dem sich viele Physiker heute beschäftigen. Es gibt durchaus einige interessante Ansätze in dieser Richtung, beispielsweise die Stringtheorie oder die Schleifen-Quantengravitation. Aber noch haben all diese Ansätze ihre Probleme, und man ist noch lange nicht am Ziel. Eines jedoch ist mittlerweile klar: Wir werden erst dann ein umfassendes und konsistentes Bild von der Natur erhalten, wenn wir die Gravitation in die quantenphysikalische Beschreibung der Welt miteinbeziehen können. Richard Feynman ist diesem Weg bereits zu einer Zeit gefolgt, als viele seiner Kollegen das noch für ein ziemlich exotisches Vorhaben hielten.
a) Vom Äquivalenzprinzip zur Allgemeinen Relativitätstheorie
b) Materie in der gekrümmten Raumzeit
c) Die Einsteinschen Feldgleichungen
d) Quantengravitation am Doppelspalt
e) Feynman über die Interpretation der Quantenmechanik
f) Gravitation und Urknall: die inflationäre Expansion
g) Dunkle Materie und dunkle Energie
h) Stephen Hawking und die Temperatur schwarzer Löcher
i) Die Gesamtenergie des Universums
Dabei stieß er auf den glücklichsten Gedanken seines Lebens, wie er es später nannte: Ähnlich wie die elektromagnetischen Felder, die je nach Bezugssystem anders aussehen, besitzt auch das Gravitationsfeld nur eine relative Existenz. Für einen Beobachter, der sich im freien Fall vom Dach eines Hauses befindet, existiert − zumindest in seiner unmittelbaren Umgebung − kein Gravitationsfeld. Wenn nämlich der fallende Beobachter einige andere Körper fallen lässt, dann befinden diese sich in Bezug auf ihn im Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung, denn sie fallen mit ihm zu Boden.
Statt über den freien Fall von einem Hausdach nachzudenken, kann man sich auch eine Raumkapsel vorstellen, die sich ohne Antrieb dem Schwerefeld der Erde überlässt. Die Internationale Raumstation ist genau eine solche Raumkapsel. In ihrem Inneren herrscht Schwerelosigkeit, denn sie befindet sich im freien Fall − allerdings nicht nach unten, sondern um die Erde herum, was aber keinen prinzipiellen Unterschied macht. Das Schwerefeld der Erde ist dabei am Ort der Raumstation keineswegs Null, denn die Raumstation kreist in nur 400 Kilometern Höhe über dem Erdboden. Dort beträgt die Schwerkraft immer noch knapp 90 % des Wertes am Erdboden. Erst der freie Fall neutralisiert die Wirkung der Gravitation in der Station. Solange die Astronauten nicht aus dem Fenster schauen, können sie im freien Fall nicht feststellen, ob von außen eine Gravitation auf sie einwirkt, denn sie spüren diese nicht.
Wollte man die Raumstation in 400 Kilometern Höhe an einem festen Punkt über dem Erdboden stillstehen lassen, so müsste man Raketen an ihr anbringen und diese zünden, um gegen die nach unten ziehende Schwerkraft anzukämpfen. Im Inneren der Station würde man dann die Schwerkraft der Erde wieder spüren. Genau dieselbe Kraft würde man andererseits auch empfinden, wenn die Raumstation sich irgendwo weit weg von allen Sternen und Planeten im leeren Weltraum befände und dort mit derselben Schubkraft der Raketen beschleunigen würde. Nur würde man die Kraft dann als Reaktion auf die Beschleunigung ansehen und nicht als Auswirkung der Gravitation.
Einstein drehte den Spieß nun einfach um und behauptete, dass es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen den beiden Situationen im Inneren der Raumstation gibt. Die Astronauten können mit keinem physikalischen Experiment innerhalb der Raumstation unterscheiden, ob sie sich in einem Gravitationsfeld befinden oder nicht. Herrscht im Inneren Schwerelosigkeit, so befinden sie sich im freien Fall − entweder in einem Gravitationsfeld oder gleichmäßig schwebend im leeren Weltraum weit weg von allen Gravitationsfeldern. Fallen die Dinge im Inneren dagegen zu Boden, so muss irgendetwas − beispielsweise Raketen − gegen die Schwerkraft ankämpfen oder im leeren Weltall die Raumstation beschleunigen. Gravitation und Beschleunigung sind lokal − also im Inneren einer kleinen Raumstation − gleichwertig (äquivalent), weshalb man hier auch vom Äquivalenzprinzip spricht.
Betrachtet man Newtons Gravitationsgesetz und sein Bewegungsgesetz
(Kraft ist Masse mal Beschleunigung), so könnte man eigentlich zwei verschiedene
Massenbegriffe unterscheiden: Bei einer Beschleunigung der Raumstation ist es die
Trägheit eines Körpers − also seine träge Masse − die ihn im Inneren
der Raumstation zu Boden drückt. Bei der Gravitation ist es dagegen seine sogenannte
schwere Masse, die den Körper nach unten zieht. Dabei könnte die schwere Masse
eines Körpers durchaus von seiner trägen Masse abweichen, so wie ja auch die
elektrische Ladung nichts mit der trägen Masse eines Körpers zu tun hat.
Im Experiment konnte man jedoch nie auch nur den geringsten Unterschied zwischen schwerer und träger Masse feststellen. Je schwerer ein Körper ist, umso träger ist er auch. Das bewirkt, dass im Vakuum alle Körper gleich schnell fallen, wie schon Galileo Galilei zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts herausfand. Einsteins Äquivalenzprinzip macht nun klar, woran das liegt: Gravitation und Beschleunigung sind lokal ununterscheidbar, sodass schwere und träge Masse genau dasselbe sind, nämlich einfach DIE Masse des Körpers.
Über fallende Körper lässt sich also kein Unterschied zwischen Beschleunigung und Schwerkraft innerhalb der Raumkapsel feststellen. Aber was ist mit Licht? Wenn man beispielsweise in einer nach oben beschleunigten Raumkapsel einen Lichtstrahl parallel zum Boden abstrahlt, so erscheint er für einen mitbeschleunigten Astronauten etwas nach unten gebogen zu werden, denn während der Lichtstrahl noch zur Seite fliegt, beschleunigen Kapsel und Astronaut weiter nach oben. Genau dasselbe müsste man nach dem Äquivalenzprinzip auch sehen, wenn statt einer Beschleunigung eine Gravitation auf die Kapsel einwirkt. Ein Gravitationsfeld müsste also einen Lichtstrahl wie einen Wasserstrahl etwas nach unten krümmen. Auch Licht fällt in diesem Sinn in einem Gravitationsfeld.
Es war einer der großen Erfolge Einsteins, als der britische Astrophysiker Arthur Stanley Eddington im Jahr 1919 genau diesen Effekt nachweisen konnte: Während einer totalen Sonnenfinsternis machte er Aufnahmen von Sternen nahe der verdeckten Sonnenscheibe und vermaß deren Positionen. Da das Licht dieser Sterne im starken Gravitationsfeld der Sonne einen kleinen Bogen macht, sah man die Sterne an leicht verschobenen Positionen, was als Beweis der Vorhersagen Einsteins gewertet wurde. Als die Nachricht von dieser Entdeckung durch die Zeitungen ging, war Einstein über Nacht ein berühmter Mann.
Das Einsteinkreuz ist ein vierfaches Abbild des Quasars QSO 2237+0305,
der etwa 8 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Zwischen dem Quasar
und der Erde befindet sich in etwa 400 Millionen Lichtjahren Entfernung der
Kern einer großen Galaxie, deren Schwerkraft das Licht des Quasars wie eine
Linse ablenkt und so das Mehrfachbild erzeugt − die Galaxie ist in der Mitte der
vier Quasar-Abbilder zu sehen.
Credit: NASA, ESA, and STScI
Quelle:
Wikimedia Commons File:Einstein cross.jpg
public domain
Diesem Erfolg gingen mehrere Jahre intensiver Arbeit voraus, in denen Einstein versuchte,
die entsprechende relativistische Theorie der Gravitation auszuarbeiten, die wir heute
als Allgemeine Relativitätstheorie bezeichnen. Aus dem Äquivalenzprinzip schloss er
dabei im ersten Schritt, dass im Inneren einer kleinen frei fallenden Raumstation die
Gravitation neutralisiert ist, sodass dort lokal die bereits bekannten Gesetze
der speziellen Relativitätstheorie gelten. Interessant wird es nun, wenn man im
zweiten Schritt die Raumstation immer größer macht, sodass sich irgendwann die
lokalen Unterschiede im Gravitationsfeld bemerkbar machen. Diese lassen
sich dann nicht mehr überall durch den freien Fall der großen Raumstation kompensieren.
Einstein suchte nach den mathematischen Werkzeugen, um diesen Effekt beschreiben zu können. Er fand sie schließlich in Form der sogenannten Differentialgeometrie, die insbesondere von den Mathematikern Carl Friedrich Gauß und Bernhard Riemann im frühen und mittleren neunzehnten Jahrhundert ausgearbeitet worden war. Es ist schon bewundernswert, was Gauß und Riemann mehr als fünfzig Jahre zuvor geleistet hatten, als sie sich der Aufgabe stellten, die Krümmung von Flächen und mehrdimensionalen Räumen mathematisch zu beschreiben. Was hätten diese beiden großen Mathematiker wohl dazu gesagt, wenn sie gewusst hätten, dass ihre Mathematik einmal zur tragenden Säule einer der berühmtesten physikalischen Theorien werden würde?
Einstein konnte auf dieser mathematischen Basis Raum und Zeit eine gemeinsame geometrische Struktur zuordnen, die an jedem einzelnen Punkt der bereits bekannten Raumzeit-Geometrie der speziellen Relativitätstheorie entspricht. Im Großen jedoch unterscheidet sich diese Raumzeit von der flachen Raumzeit der speziellen Relativitätstheorie − sie weist eine sogenannte Raum-Zeit-Krümmung auf und beschreibt damit die Wirkung der Gravitation. Im Inneren einer kleinen frei fallenden Raumstation bemerkt man diese Krümmung nicht, so wie wir ja normalerweise auch die Krümmung der Erdoberfläche in unserem begrenzten Umfeld nicht bemerken. Entsprechend herrscht in der Raumstation Schwerelosigkeit und die Regeln der speziellen Relativitätstheorie gelten. Erst wenn man größere Raumbereiche betrachtet, wird die Raumzeit-Krümmung und damit die Gravitation sichtbar.
Diese Umformulierung erscheint ungewöhnlich, aber sie funktioniert: Sind Start- und Zielpunkt beispielsweise gleich, so bewegt sich der Körper überhaupt nicht. Würde er sich bewegen, so würde dies den Lauf seiner Uhr verlangsamen, denn eine bewegte Uhr läuft nach den Regeln der Relativitätstheorie langsamer als die ruhende Uhr. Betrachtet nun ein Beobachter, der sich relativ zum Körper gleichförmig bewegt, dieselbe Situation, so sieht er den ruhenden Körper in einer geradlinig-gleichförmigen Bewegung und kommt zu demselben Schluss: Dies ist die Bewegung, bei der auf der vom Körper mitgeführten Uhr die meiste Zeit vergeht. Jede Abweichung von der geradlinig-gleichförmigen Bewegung würde zu einer kürzeren Gesamtzeit auf dieser Uhr führen.
Wenn nun die Gravitation ins Spiel kommt, so behalten wir dieses Gesetz einfach bei: Ein frei fallender Körper bewegt sich zwischen zwei Orten bei von außen vorgegebener Start- und Ankunftszeit so, dass auf einer von ihm mitgeführten Uhr möglichst viel Zeit vergeht − eine Regel, die man auch gerne als Trödelprinzip bezeichnet.
Feynman beschreibt diese Regel im Detail in seinen Feynman Lectures in Band II Kapitel 42-8. Dabei geht er auch auf die folgende Frage ein: Wie kann die Gravitation mit diesem denkbar einfachen Bewegungsgesetz die Flugbahn eines Körpers beeinflussen? Wie entsteht beispielsweise die parabolische Flugbahn eines schräg nach oben geworfenen Balls? Ganz einfach: Die Gravitation beeinflusst Raum und Zeit, was sich hier insbesondere dadurch äußert, dass im Gravitationsfeld der Erde die Zeit weiter oben geringfügig schneller läuft als weiter unten − ein Effekt, den man mit modernen Atomuhren problemlos nachweisen kann. Der Ball versucht nun, die Flugbahn so zu wählen, dass er möglichst lange möglichst weit oben sein kann, da dort seine Uhr etwas schneller läuft. Zu weit aufsteigen kann er aber auch nicht, da er zur vorgegebenen Ankunftszeit am Zielort eintreffen muss und sich in der Zwischenzeit nicht zu schnell bewegen sollte − eine hohe Geschwindigkeit verlangsamt ja den Lauf seiner Uhr. Rechnet man alles genau aus, so ergibt sich damit die parabolische Flugbahn. Das ist genau die Art, wie die Allgemeine Relativitätstheorie funktioniert: Es genügt, allein über Raum und Zeit nachzudenken − Kräfte oder Energien werden für die Flugbahn überhaupt nicht benötigt. So muss es auch sein, denn ein frei fallender Körper spürt nach dem Äquivalenzprinzip selbst ja gar keine Gravitationskraft. Er reagiert lediglich auf die Eigenschaften der Raumzeit.
Die Argumentation mit dem Trödelprinzip funktioniert ganz ähnlich wie das Prinzip der kleinsten Wirkung, das wir in Kapitel 1.3 kennengelernt haben und das Feynman immer so faszinierte: Dort gab das Wechselspiel zwischen kinetischer und potentieller Energie beim Flug des Balls den Ausschlag, um die Wirkung der Flugbahn zu minimieren.
Das Problem der Bewegung in der gekrümmten Raumzeit hatte Einstein damit elegant gelöst. Nun musste er noch die Frage klären, wie diese Krümmung von der im Raum vorhandenen Materie erzeugt wird. Das kostete ihn einige Mühen, und nach vielen Versuchen und manchem Irrweg präsentierte er im Jahr 1915 schließlich sein Ergebnis: Die Raumzeit-Krümmung wird vom sogenannten Energie-Impuls-Tensor der Materie erzeugt, was mathematisch durch die sogenannten Einsteinschen Feldgleichungen beschrieben wird (siehe unten). Physikalisch bedeutet das, dass nicht nur Massen, sondern auch Energien und sogar innere Zug- oder Druckkräfte eine Gravitationswirkung haben.
Dazu stellen wir uns eine sehr kleine kugelförmige Wolke aus vielen Testteilchen vor, deren freien Fall im Gravitationsfeld wir beobachten wollen. Die Testteilchen sollen so federleicht sein, dass wir ihr Gravitationsfeld vernachlässigen können. Außerdem sollen sich die Teilchen zu Beginn relativ zueinander nicht bewegen.
In der winzigen Kugel aus Testteilchen soll sich außerdem Materie befinden, die dort eine bestimmte Energiedichte ρ und einen bestimmten Druck p besitzt, wobei die Energiedichte auch die vorhandene Massendichte mit umfasst, denn Masse ist ja eingesperrte Energie. Das Gravitationsfeld dieser Materie setzt nun die Testteilchen in Bewegung, sodass sich die Form und das Volumen V der Testteilchen-Wolke verändert.
Die Rate (zweite zeitliche Ableitung zur Anfangszeit t = 0), mit der das Volumen der Wolke zu schrumpfen beginnt, ist nun proportional zum Anfangsvolumen V mal der Energiedichte ρ plus dem dreifachen Druck p der Materie:
wobei alle Ausdrücke in dieser Formel zur Anfangszeit t = 0 auszuwerten sind.
Die Zahl 3 vor dem Druck p stammt von den drei Raumdimensionen − für jede
Raumdimension muss der Druck also einmal gezählt werden.
Bei normaler Materie ist der Druck p so klein, dass er gegenüber der stets positiven Energiedichte ρ nicht ins Gewicht fällt. Die Gravitation wirkt dann anziehend und die Testteilchen beginnen, ins Zentrum der Kugel zu fallen − das Kugelvolumen der Testteilchen-Wolke beginnt zu schrumpfen. Dasselbe geschieht bei positivem Druck.
Bei der Energie ist eine Gravitationswirkung nicht weiter überraschend, denn nach der speziellen Relativitätstheorie ist Masse von lokalisierter Energie nicht zu unterscheiden. Die Gravitationswirkung von Zug- und Druckkräften ist dagegen etwas Neues! Normalerweise spielt dieser Effekt kaum eine Rolle, denn die Kräfte müssen schon extrem stark sein, um sich gravitativ bemerkbar zu machen. Wenn wir uns aber beispielsweise einen Neutronenstern anschauen, so wird dieses Phänomen wichtig: In einem Neutronenstern zieht dessen enorme Schwerkraft eine Materiemenge von ein bis zwei Sonnenmassen in einer kleinen Kugel von nur rund 20 km Durchmesser so dicht zusammen, dass sie sich nur durch einen extremen Gegendruck gegen den endgültigen Gravitationskollaps wehren kann. Dieser Gegendruck verstärkt aber seinerseits die anziehende Gravitation, was den Neutronenstern noch stärker zusammenzieht. Ab einer Gesamtmasse von etwa zwei bis drei Sonnenmassen kommt es so zu einem Teufelskreis, der den Stern zu einem schwarzen Loch kollabieren lässt.
Ist der Druck dagegen sehr stark und negativ, was starken inneren Zugkräften in der Materie entspricht, so kann der dreifach gezählte negative Druck gegenüber der positiven Energiedichte überwiegen. Die Klammer (ρ + 3p) rechts wird dann negativ. Das bedeutet, dass die Gravitation abstoßend auf die Testteilchen wirkt und das Volumen der Testteilchen-Wolke zu wachsen beginnt.
Sobald man aufgrund irgendwelcher Effekte im Prinzip herausfinden kann, durch welchen Spalt das Elektron hindurchgegangen ist, verschwindet das Streifenmuster. Nicht mehr die Wahrscheinlichkeitsamplituden verstärken sich oder löschen sich aus, sondern die Wahrscheinlichkeiten selbst addieren sich. Und diese Wahrscheinlichkeiten sind − anders als die Amplituden − immer positiv und verstärken sich immer: Entweder ist das Elektron durch Spalt 1 oder 2 bis zum Messpunkt gelangt. Es gibt dann keine Streifen mehr, an denen sich die Wahrscheinlichkeitsamplituden gegenseitig auslöschen.
Beschreibt man die Gravitation als klassisches Feld ohne Quantenamplituden, dann hätte es immer einen eindeutig bestimmten Wert, der durch die Anwesenheit der Materie festgelegt wird. Dann aber könnte man mithilfe der Gravitation im Prinzip immer feststellen, durch welchen Spalt das Elektron geht, denn dessen Gravitationsfeld würde dies eindeutig anzeigen. Es könnte kein Streifenmuster mehr geben.
Nun können wir im Doppelspalt-Experiment aber ein Streifenmuster der Elektronen erzeugen.
Für diese Elektronen können wir grundsätzlich nicht herausfinden, durch welchen Spalt sie
hindurchgegangen sind − es gibt für jeden Spalt eine Quantenamplitude,
die beide gleichzeitig existieren. Also kann auch die Gravitation dieser Elektronen
beim Durchgang durch die Spalte keinen festen Wert haben. Es muss für jeden Spalt
auch eine quantenmechanische Gravitationsamplitude geben, die mit der Amplitude des
Elektrons zusammenhängt. Erst wenn wir die Gravitation des Elektrons wirklich messen,
wird das Gravitationsfeld und damit der Spalt festgelegt und das Streifenmuster
hinter dem Spalt verschwindet. Die Gravitation des Elektrons ist allerdings so gering,
dass sie nahezu unmessbar klein ist − es ist also nicht ganz klar,
wie zwingend das obige Argument wirklich ist.
Das bekannteste Beispiel, das die philosophischen Schwierigkeiten der Quantenmechanik in der makroskopischen Welt sichtbar macht, ist Schrödingers Katze. In diesem berühmten Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger aus dem Jahr 1935 stellt man sich vor, eine Katze sei zusammen mit einem Geigerzähler und einem Fläschchen Blausäure in einer verschlossenen Kiste eingesperrt. Außerdem befindet sich in der Kiste ein radioaktiver Atomkern, der in einer bestimmten Zeit − sagen wir innerhalb einer Stunde − mit 50 % Wahrscheinlichkeit zerfällt. Wenn der Zerfall stattfindet, wird dies von dem Geigerzähler registriert, der wiederum die Blausäure freisetzt und so die Katze umbringt.
Feynman verwendet in seiner Beschreibung statt der Blausäure ein geladenes Gewehr,
doch Schrödingers Idee mit der Blausäure macht noch etwas deutlicher, dass man von außen
nicht bemerken soll, ob die Katze noch lebt oder tot ist.
Einen Gewehrschuss würde man sicher bemerken.
Zum Glück hat niemand dieses ziemlich sadistische Experiment je ausgeführt, und dafür besteht auch gar kein Grund. Es geht lediglich darum, auf drastische Weise darzustellen, was eine Quantenbeschreibung der Welt für merkwürdige Konsequenzen hat.
Nach einer Stunde beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass die Katze noch lebt, 50 %. Dabei gehen wir selbstverständlich davon aus, dass die Katze in Wirklichkeit entweder lebendig oder tot ist. Mit der Wahrscheinlichkeit drücken wir nur aus, dass wir nicht wissen, welche der beiden Alternativen eingetreten ist, da wir nicht in die Kiste hineingesehen haben.
Nach den Regeln der Quantenmechanik gibt es dagegen eine Wahrscheinlichkeitsamplitude für jede der beiden Alternativen. Solange wir nicht nachgesehen haben, ob die Katze noch lebt, sind beide Amplituden vorhanden und die Katze befindet sich in einem quantenmechanischen Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Dabei drücken die beiden Amplituden nicht etwa unser Unwissen aus, sondern sie bilden eine vollständige Beschreibung der Realität, die über reine Wahrscheinlichkeiten hinausgeht. Das erkennt man beispielsweise daran, dass sich quantenmechanische Amplituden wie beim Doppelspaltexperiment im Prinzip gegenseitig überlagern und auslöschen können, während Wahrscheinlichkeiten sich immer positiv addieren.
Für einen Beobachter außerhalb der Kiste ist diese quantenmechanische Beschreibung mit zwei Amplituden in Ordnung. Erst wenn er in die Kiste hineinschaut − also eine Messung vornimmt − verwandelt sich eine der beiden Alternativen in eine makroskopische Realität, wobei das Betragsquadrat der Amplitude angibt, wie wahrscheinlich die jeweilige Alternative ist.
Wenn wir über diese Aussage nachdenken, beschleicht uns das Gefühl, dass die Katze selbst das wohl anders sieht − so Feynman. Aus ihrer Sicht ist sie eindeutig lebendig oder tot, aber nie in einem Schwebezustand dazwischen. Für einen Beobachter, der wie die Katze Teil der Amplitude ist, macht die quantenmechanische Beschreibung seiner selbst also wenig Sinn.
Wie Feynman schreibt, taucht diese Art Paradoxon jedes Mal auf, wenn wir einen atomaren − und damit quantenmechanischen − Vorgang so verstärken, dass wir erkennen können, wie er das gesamte Universum beeinflusst. Genau das tut eine Messung!
Wenn es nun keine prinzipielle Grenze für die Quantenmechanik gibt, so müssen wir letztlich sogar das gesamte Universum quantenmechanisch beschreiben. Dafür bräuchten wir eine gigantische Monster-Wellenfunktion mit nahezu unendlich vielen unglaublich komplexen Wahrscheinlichkeitsamplituden. Feynman verdeutlicht dies auf die folgende Weise:
Stellen wir uns vor, wir stehen in Las Vegas am Roulette-Tisch − ein sicher nicht ganz zufälliges Szenario, denn Feynman war gerne in Las Vegas. Angenommen, wir wollen gerade unser Geld auf die Nummer 22 setzen. In diesem Moment verschüttet eine junge Frau neben uns ihren Drink, weil sie plötzlich jemanden sieht, den sie kennt. Wir schauen zu ihr herüber und verpassen so unseren Einsatz am Roulette-Tisch. Die 22 kommt tatsächlich, doch es ist zu spät − wir haben den möglichen Gewinn verpasst, und das nur, weil irgendein Photon die Netzhaut dieser Frau getroffen hat. Das Universum ist für uns nun ein anderes, als wenn das Photon die Netzhaut nicht getroffen hätte.
Nun ist ein Photon eindeutig quantenmechanisch zu beschreiben. Es gibt also je eine Amplitude dafür, dass das Photon die Netzhaut trifft oder nicht. Wenn nun auch das komplette Universum der Quantenmechanik unterliegt und sich das Photon wie beschrieben auf das Universum auswirkt, so bedeutet das, dass sich das komplette Universum aufspaltet. Der eine Teil besteht aus den Amplituden, in denen wir auf die 22 setzen und viel Geld gewinnen, während wir bei den anderen Amplituden den Einsatz verpassen und leer ausgehen.
Immer wenn sich ein Quantenereignis makroskopisch auswirkt, verzweigt sich demnach die makroskopische Realität analog in mehrere makroskopische Realitäten, die alle Teil derselben übergreifenden Monster-Wellenfunktion mit ihren unzähligen Amplituden sind.
Was Feynman hier beschreibt, ist heute unter dem Namen Viele-Welten-Interpretation bekannt. Sie stammt aus dem Jahr 1957 und wurde von dem amerikanischen Physiker Hugh Everett entwickelt. Everett musste sich daraufhin viel Kritik gefallen lassen und zog sich schließlich frustriert aus der physikalischen Forschung zurück. Heutzutage erfreut sich diese Sichtweise dagegen zunehmender Beliebtheit, denn möglicherweise ist es nur mit ihr überhaupt möglich, das ganze Universum quantenmechanisch zu beschreiben.
Feynman stand damals wie die meisten seiner Kollegen dieser Idee wohl eher kritisch gegenüber. So schreibt er, dass es da einige Leute gäbe, die die Quantenmechanik wortwörtlich nähmen und mit dieser Sichtweise zufrieden seien, weil man mit ihr keinen äußeren Beobachter mehr brauche, der von außen Messungen an der Wellenfunktion des Universums vornimmt und so entscheidet, welche der Alternativen real werden. Gegen diese Sichtweise spräche, dass wir als Teil des Universums genau wissen, welchen Weg das Universum in unserer Vergangenheit genommen hat. Für uns gibt es nur eine eindeutige Realität.
Das alles ist sehr verwirrend, gibt Feynman zu. Was genau ist eine Messung an einem Quantensystem, wenn alles quantenmechanisch beschrieben werden muss − auch das Messgerät? Wir können uns zwar selbst in konsistenter Weise als äußere Beobachter der restlichen Welt begreifen, doch zugleich beobachtet diese restliche Welt auch uns. Ist auch eine Fliege ein Beobachter? Gibt es ohne Beobachter keine Realität? Das wäre absurd, meint Feynman.
Bis heute sind viele dieser Fragen noch ohne Antwort, auch wenn es seit Feynmans Zeit durchaus gewisse Fortschritte gegeben hat. Interessanterweise geht Feynman sogar auf einen Gedanken näher ein, der zu diesen Fortschritten geführt hat. Wenn man nämlich den Quantencharakter eines Systems beobachten will, so muss man Interferenzexperimente durchführen, ähnlich wie beim Doppelspalt. Ein deutliches Interferenzmuster erhält man jedoch nur, wenn sich die Amplituden des Systems auf klar definierte Weise zeitlich entwickeln, ohne durch Störungen relativ zueinander aus dem Takt zu geraten. Nun sind bei einem makroskopischen System wie einer Katze extrem viele komplexe Quantenamplituden vorhanden, die sehr leicht aus dem Takt geraten, woraufhin der Quantencharakter des Systems verschwindet und aus den Wahrscheinlichkeitsamplituden klassische Wahrscheinlichkeiten werden. Dazu braucht man nur einen Mechanismus, der die Phasenbeziehungen der Amplituden − also ihr Vorzeichen bzw. ihre relative Ausrichtung zueinander − im Lauf der Zeit etwas verschmiert und zunehmend unsicher macht.
Feynman spekuliert weiter: Ein solcher Verschmierungsmechanismus − wenn es ihn denn gibt − könnte weitere physikalische Konsequenzen haben. Wenn nun die Existenz der Gravitation genau eine solche Konsequenz wäre, dann gäbe es keine Quantentheorie der Gravitation − was für den Rest seiner Vorlesung ein fürchterlicher Gedanke sei.
Diese Angst ist aus heutiger Sicht unbegründet: die Gravitation ist keine Konsequenz eines Verschmierungsmechanismus der Quantenamplituden. Wir brauchen eine Quantentheorie der Gravitation, wenn wir verstehen wollen, was bei extrem großen Teilchenmassen- und Energien sowie bei sehr kurzen Raum- und Zeitabständen geschieht. Die sogenannten Planck-Einheiten, liefern einen guten Anhaltspunkt dafür, wann dies der Fall ist: Solche extremen Größenordnungen können in unserem Universum letztlich nur beim Urknall oder im Inneren Schwarzer Löcher erreicht werden. Genau dort werden wir sie also brauchen: die Quantengravitation.
Den quantenmechanischen Verschmierungsmechanismus, über den Feynman in seiner Vorlesung spekuliert, gibt es allerdings in gewissem Sinn wirklich, wie man heute weiß. Er beruht darauf, dass sich kein makroskopisches Objekt perfekt von seiner Umgebung isolieren lässt. Selbst im leeren Weltraum würde es von Photonen getroffen und auch selbst Photonen aussenden. In Sekundenbruchteilen geraten so seine Quantenamplituden aus dem Takt − sie dekohärieren, wie man sagt − und der Quantencharakter wird unbeobachtbar. Die Wellenfunktion des makroskopischen Systems verbindet − man sagt auch: verschränkt − sich dabei mit der Wellenfunktion des restlichen Universums und wird so für uns unzugänglich, da wir immer nur einen kleinen Teil des Universums beobachten können.
In der Viele-Welten-Interpretation treibt diese Dekohärenz die einzelnen Realitätszweige der Monster-Wellenfunktion des Universums auseinander, sobald sich eine atomare Wellenfunktion auf die makroskopische Welt auswirkt und mit dieser verbindet, was einer Messung an dieser Wellenfunktion entspricht. In jedem der Zweige ist dann einer der möglichen atomaren Messwerte realisiert. Jedes atomare Ereignis, das makroskopische Auswirkungen hat, sorgt damit für eine neue Verzweigung. So gibt es beispielsweise in dem einen Zweig eine Amplitude mit einer lebenden Katze und einem intakten Atomkern, in dem anderen Zweig dagegen eine Amplitude mit einer toten Katze und einem zerfallenen Atomkern. Die Dekohärenz lässt dabei die Zweige den Kontakt zueinander verlieren, sodass die Amplituden nicht mehr beobachtbar miteinander interferieren können.
Sind wir selbst so wie die Katze Teil eines solchen Zweigs, so halten wir nur diesen für die einzige Realität und nehmen nur den entsprechenden atomaren Messwert war. Das bedeutet allerdings auch, dass bei jeder Verzweigung neue Kopien von uns selbst entstehen, die Teil der jeweiligen makroskopischen Realität sind und die nichts voneinander wissen. Für jede dieser Kopien gibt es eine eindeutige Realität mit einer eindeutigen Vergangenheit. Es existiert demnach ein einziges Quantenuniversum mit einer Monster-Wellenfunktion, die einen riesigen Baum sich ständig weiter verzweigender makroskopischer Realitäten umfasst. Wir selbst bzw. unsere jeweiligen Kopien sehen die Quantenwelt also gewissermaßen aus einer Froschperspektive, aus der heraus man nur den jeweiligen Zweig erkennen kann, in dem man sich befindet. Nur ein hypothetisches göttliches Wesen könnte das Quantenuniversum aus einer Vogelperspektive heraus überblicken und damit den Baum der sich verzweigenden makroskopischen Realitätszweige darin sehen. Jedes andere Wesen, das selbst Teil dieses Quantenuniversums ist, bleibt dagegen in seinem Zweig gefangen − die anderen makroskopischen Realitäten des Quantenuniversums bleiben unerreichbar. Das ist bizarr, doch deshalb muss es noch lange nicht falsch sein, zumal es sich durch logische Überlegungen aus einer gut etablierten Theorie ergibt.
Feynman selbst blieb auch in späteren Jahren der Viele-Welten-Interpretation gegenüber reserviert. In seinem Beitrag Simulating Physics with Computers (International Journal of Theoretical Physics Vol. 21) schreibt er noch im Jahr 1982 sinngemäß, irgendjemand − vielleicht meint er Everett − habe etwas über ein Viele-Welten-Bild gemurmelt, das behaupte, es sei die Monster-Wellenfunktion ψ, die real sei. Aber zum Teufel: All die verschiedenen Welten und jede einzelne der unzählig vielen möglichen atomaren Konfigurationen ist darin mit einer Amplitude vorhanden, genau wie unsere Konfiguration, in der wir zufällig sitzen. "It's possible, but I'm not very happy with it" (es ist möglich, aber ich bin nicht sehr glücklich damit).
Bei normaler Materie spielt dies praktisch keine Rolle, aber bei bestimmten Energiefeldern könnte dies anders sein. Ihre inneren Zugkräfte können so stark sein, dass sie in Summe ein abstoßendes Gravitationsfeld aufweisen − die gravitative Abstoßung durch die Zugkräfte überwiegt dann gegenüber der gravitativen Anziehung durch die Energiedichte des Feldes.
Man nimmt heute an, dass der Urknall von der Anwesenheit eines solchen sehr starken Energiefeldes begleitet wurde, das für die ersten Sekundenbruchteile unser komplettes Universum durchdrang, bevor es in die Teilchen der normalen Materie zerfiel. Seine starke abstoßende Gravitation führte zu einem sehr kurzen, aber zugleich extrem schnellen Aufblähen des Universums − ganz ähnlich wie sich die Oberfläche eines Luftballons ausdehnt, wenn man diesen sehr schnell aufbläst. Man spricht deshalb auch von der inflationären Expansion und bezeichnet das hypothetische Energiefeld auch als Inflatonfeld. Um was für ein Feld es sich dabei genau gehandelt haben könnte, ist heute noch unklar, aber die modernen Theorien der Teilchenphysik enthalten durchaus interessante Kandidaten für solche Felder. Das Szenario der inflationären Expansion beim Urknall ist also durchaus plausibel.
Bei der extrem schnellen Expansion des Raumes wird das Inflatonfeld nicht etwa ausgedünnt. Es wird immer genügend Inflatonfeld nachgebildet, sodass seine Energiedichte konstant bleibt. Dafür ist Energie notwendig − nur wo soll diese herkommen?
Sie stammt aus dem abstoßenden Gravitationsfeld, das vom Inflatonfeld ausgeht und den Raum samt Inflatonfeld auseinandertreibt. Die Abstoßung sorgt dafür, dass die Gravitationsenergie immer weiter ins Negative rutscht, ähnlich wie bei einem Dispokredit, den man beliebig überziehen darf. Das entsprechend freiwerdende Energieguthaben wandert in die Neubildung von weiterem Inflatonfeld, denn man muss Energie zuführen, um dieses Feld gegen seine inneren Zugkräfte weiter auseinanderzuziehen.
Im Detail kann man sich die Tatsache, dass die Energiedichte ρ des Inflatonfeldes trotz der Expansion des Raumes nicht abnimmt, folgendermaßen erklären:
Angenommen, wir könnten das Inflatonfeld in einen Zylinder einfüllen, dessen Volumen wir über einen Kolben verändern können. Das Inflatonfeld soll dabei einen negativen Druck p der Stärke
aufweisen, d.h. der Druck entspricht bis auf das Vorzeichen genau der Energiedichte des Inflatonfeldes. Mit seinem negativen Druck versucht das Inflatonfeld nun, den Kolben mit der Kraft FFeld = p A nach innen zu ziehen, wobei A die Grundfläche des Kolbens im Zylinder ist. Mit der entsprechenden Gegenkraft F = − p A = ρ A müssen wir also an dem Kolben ziehen, um ihn um eine Strecke s nach außen zu bewegen und so das Volumen im Zylinder um den Betrag V = A s zu vergrößern. Dazu müssen wir die Arbeit W = F s = ρ A s = ρ V aufwenden. Diese Arbeit ist notwendig, weil wir das Inflatonfeld gegen seinen negativen Druck auseinanderziehen und so seine Energie um den Betrag E = W = ρ V erhöhen. Das ist nun genau die Energie, die man braucht, um auch das hinzugekommene Volumen V mit Inflatonfeld der Energiedichte ρ zu füllen. Das Inflatonfeld muss also seine Energiedichte nicht ausdünnen, um das neue Volumen V mit Energie zu füllen, denn genau diese Energie wird durch das Herausziehen des Kolbens dem Feld zugeführt.
Bei dem Druck p = − ρ wird die Klammer (ρ + 3p) in den Einsteinschen Feldgleichungen (siehe oben) gleich −2 ρ und somit negativ, sodass das Inflatonfeld eine abstoßende Gravitation bewirkt.
Wenn das Inflatonfeld also stark genug ist, dann reicht bereits eine mikroskopisch kleine
Inflaton-gefüllte Raumblase aus, um durch die inflationäre Expansion ein komplettes
Universum wie unseres zu erzeugen. In Summe ändert sich die Gesamtenergie dieses Universums
bei der Expansion nicht − es wird lediglich ständig die Gravitationsenergie weiter angezapft,
um neues Inflatonfeld nachzuliefern, das sich einige Sekundenbruchteile nach dem
Urknall schließlich in normale Materie umwandelt. Das gesamte Universum besitzt nach
diesem Szenario also heute noch dieselbe Gesamtenergie wie die anfängliche winzige Inflaton-Raumblase,
und deren Energie ist vernachlässigbar klein. Man kann also ein komplettes Universum
aus nahezu nichts erzeugen. Das Universum besitzt dann (fast exakt) die Gesamtenergie Null − genau wie
Feynman es bereits vermutet hatte und wie es von modernen Beobachtungen bestätigt wird
(siehe auch unten)!
Woraus bestehen dann die übrigen 95 Prozent? Wir wissen es nicht genau, doch die Messdaten geben einige Hinweise auf die Natur dieser Materie. Demnach werden weitere rund 25 Prozent der Gesamtdichte von einer Materieform erzeugt, die sehr wahrscheinlich aus ziemlich schweren, noch unbekannten Elementarteilchen besteht. Diese Teilchen wechselwirken nur sehr schwach mit der übrigen Materie sowie mit Licht, sodass sie für uns unsichtbar sind − man spricht deshalb auch von Dunkler Materie, obwohl man wohl besser unsichtbare oder transparente Materie sagen sollte. Diese Teilchen sammeln sich in den Galaxien und deren Umgebung an und wabern dort durch den Raum, wobei sie Sterne, Planeten und auch uns selbst fast ungehindert durchdringen können. Sie machen sich allein durch ihre Schwerkraft bemerkbar, was man beispielsweise an den Bewegungen der Sterne und Galaxien erkennen kann.
Mit Atomen und Dunkler Materie lassen sich also rund 30 Prozent der Materiedichte im Universum erklären. Es fehlen dann immer noch etwa 70 Prozent, die erklärt werden müssen.
Ein erster Hinweis ergab sich Ende der 1990er Jahre durch die Beobachtung sehr weit entfernter Supernovae. Aus der Helligkeit dieser Sternexplosionen konnte man entnehmen, dass sich das Universum seit einigen Milliarden Jahren immer schneller ausdehnt. Erwartet hatte man eigentlich eine Abbremsung der Expansion aufgrund der anziehenden Gravitation der Materie – man war also sehr überrascht und überprüfte mit immer neuen Messungen, ob die Beobachtung wirklich zutraf. Dabei hat sich das Ergebnis immer weiter erhärtet. Es sieht also ganz so aus, als ob die verbleibenden 70 Prozent der Materie eine gravitative Abstoßung hervorrufen und so das Universum beschleunigt auseinandertreiben.
Eine Materieform, die zu einer abstoßenden Gravitation führt, kennen wir bereits
vom Szenario der inflationären Expansion beim Urknall: das Inflatonfeld!
Allerdings muss dieses Inflatonfeld damals weitaus stärker gewesen sein als
das sehr dünne Energiefeld, das heute offenbar den Raum durchdringt und mit
seinem negativen Druck die aktuell beobachtete geringe gravitative Abstoßung hervorruft.
Daher nennt man das heutige Energiefeld auch nicht Inflatonfeld, sondern bezeichnet es
geheimnisvoll als Dunkle Energie. Diese Dunkle Energie scheint sich wie das Inflatonfeld
bei der Ausdehnung des Universums nicht auszudünnen, sondern könnte mit ihrem
negativen Druck die Energie der Gravitation anzapfen und so eine zeitlich
konstante Energiedichte beibehalten.
Woraus die Dunkle Energie besteht, weiß heute niemand. Es ist gut möglich, dass sie eine Folge der ständig entstehenden und wieder vergehenden virtuellen Teilchen im Raum ist. Wenn man jedoch mit den gängigen Quantenfeldtheorien die Größe dieser Energiedichte abschätzt, so erhält man extrem große Werte, die überhaupt nicht zum beobachteten sehr geringen Wert der Dunklen Energie passen. Die berechneten Zahlen sind je nach Theorie um bis zu 120 Größenordnungen − also um den Faktor 10120 − zu groß. Dieser Faktor ist sogar noch weitaus größer als die Zahl, auf die wir beim Vergleich zwischen Gravitationskraft und elektrischer Kraft zwischen zwei Protonen gestoßen sind. Niemand kann heute erklären, warum das so ist.
Falls die Dunkle Energie sich tatsächlich zeitlich nicht ändert, so kann man sie in den
Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie durch eine Konstante darstellen.
Schon Albert Einstein war auf die Möglichkeit einer solchen Konstanten in seinen Gleichungen
gestoßen und hatte sie als kosmologische Konstante bezeichnet. Sie kam ihm
zunächst sehr gelegen, denn mithilfe der zugehörigen gravitativen Abstoßung konnte er
die gravitative Anziehung der Sterne und Gasnebel im Universum kompensieren und so
ein statisches Universum konstruieren − genau so, wie man es damals vermutete.
Dabei unterlief Einstein interessanterweise ein recht grober Fehler, denn dieses Gleichgewicht zwischen Anziehung und Abstoßung ist instabil: Die geringste Abweichung führt dazu, dass entweder die Anziehung oder die Abstoßung immer stärker werden. Vielleicht war hier der Wunsch zugleich Vater des Gedanken: Wenn man unbedingt ein statisches Universum konstruieren will und dies auch scheinbar hinbekommt, dann übersieht man solche Feinheiten allzu leicht. "The first principle is that you must not fool yourself − and you are the easiest person to fool" (das Grundprinzip muss sein, dass man sich nicht selbst betrügen darf − und sich selbst betrügt man am leichtesten) schreibt Feynman in Surely You're Joking. Wie recht er doch hatte, wenn sogar ein so großer Physiker wie Einstein in diese Falle tappte.
Als später entdeckt wurde, dass das Universum keineswegs statisch ist, sondern sich ausdehnt, gab es keine Notwendigkeit mehr für die kosmologische Konstante. Man setzte sie daher meist einfach gleich Null und entfernte sie damit aus den Gleichungen. Auch Einstein selbst vollzog diese Kehrtwende und soll die Konstante als die größte Eselei seines Lebens bezeichnet haben − zu Unrecht, wie wir heute wissen, denn in Form der Dunklen Energie ist sie mittlerweile wieder zurückgekehrt.
Feynman wusste von der Dunklen Energie damals noch nichts, und so folgte er der Mehrheit seiner Kollegen: Er stimme Einsteins späterer Ansicht zu und denke, dass die kosmologische Konstante sehr wahrscheinlich Null sei. Nun wusste Feynman sehr wohl, dass die virtuellen Teilchen des ansonsten leeren Raums − auch Vakuumfluktuationen genannt − zu einer sehr großen Energiedichte führen sollten. Wie die meisten anderen Physiker jener Zeit ignorierte er jedoch diese Energiedichte des Vakuums. In der Quantenelektrodynamik ist dies auch gerechtfertigt, denn dort sind immer nur Energieunterschiede relativ zum Vakuum wichtig. Bei der Gravitation ist man dann einfach analog vorgegangen, obwohl dies eigentlich nicht mehr gerechtfertigt ist, denn dort spielt jede Energie eine Rolle − auch die des leeren Raums. Es ist also aus Sicht der Quantentheorie gar nicht verwunderlich, dass der leere Raum eine Energiedichte aufweist, die sich genau wie eine kosmologische Konstante auswirkt.
Andererseits wusste Feynman auch, dass der extrem große Wert, der sich für die Energie des leeren Raums aus den darin stets vorhandenen virtuellen Teilchen eigentlich ergeben müsste, eine stark abstoßende Gravitation zur Folge hätte. Diese würde unser Universum in Sekundenbruchteilen auseinanderreißen, was aber offensichtlich nicht geschieht. Schon damals war höchstens ein sehr kleiner Wert für die kosmologische Konstante mit der beobachteten Expansion des Universums verträglich − da konnte man auch gleich Null nehmen. Insofern ist diese Wahl durchaus verständlich.
Nun ist die Dunkle Energie nach den heutigen Messungen weder Null noch so extrem groß, wie es die Quantentheorie vorhersagt. Sie besitzt vielmehr einen recht kleinen Wert, der einer Masse von nur rund vier Wasserstoffatomen pro Kubikmeter entspricht, also etwa 70 % der kritischen Dichte. Das ist absolut rätselhaft, und Physiker wie Steven Weinberg halten diese Frage sogar für eines der größten ungelösten Probleme der heutigen Physik.
Interessanterweise bot Steven Weinberg im Jahr 1987 sogar eine gewisse Erklärung an: Angenommen, es gäbe eine Vielzahl an möglichen Universen, von denen jedes einen zufälligen Wert der Dunklen Energie irgendwo zwischen Null und dem riesigen Wert besäße, den die Quantentheorie vorhersagt. Leben kann es jedoch nur in denjenigen Universen geben, deren Dunkle Energie so klein ist, dass sie nicht zu einer zu schnellen Expansion führt − Gaswolken würden sonst zu schnell auseinandergerissen und könnten nicht zu Sternen und Galaxien kollabieren. Wenn wir uns nun zufällig eines dieser lebensfreundlichen Universen herauspicken, dann werden wir darin sehr wahrscheinlich eine Dunkle Energie vorfinden, die ziemlich klein, aber nicht unbedingt Null ist. Und nur in einem solchen Universum können wir selbst existieren − kein Wunder also, dass wir einen kleinen Wert für die Dunkle Energie darin vorfinden.
Mit solchen Überlegungen versuchte Weinberg, die Größe der kosmologischen Konstanten abzuschätzen, noch bevor Ende der 1990er-Jahre die beschleunigte Expansion des Universums und die Möglichkeit einer Dunklen Energie überhaupt entdeckt wurden. Dabei kam er auf Werte, die annähernd zu den später beobachteten Werten der Dunklen Energie passen.
Man bezeichnet diese Art von Argumentation auch als anthropisches Prinzip. Mit diesem Prinzip kann man beispielsweise auch begründen, warum unser eigener Planet so lebensfreundliche Bedingungen aufweist, obwohl lebensfeindliche Planeten doch viel häufiger vorkommen − wir können eben nur auf einem lebensfreundlichen Planeten existieren.
Aber darf man auch beim Universum so argumentieren, wie man das bei Planeten tun kann? Offensichtlich setzt dies voraus, dass es ähnlich wie bei Planeten auch eine Vielzahl von Universen geben muss, in denen der Wert der Dunklen Energie irgendwie zufällig entsteht. Eine solche Vielfalt an parallel existierenden Universen ist nach den modernen physikalischen Theorien wie beispielsweise der Stringtheorie durchaus möglich und sogar naheliegend. Auf dieselbe Weise kann man auch die Werte manch anderer physikalischer Parameter plausibel machen, beispielsweise die Masse und Ladung des Elektrons. Auch sie müssen in Bereichen liegen, die zu einem lebensfreundlichen Universum führen. Vielleicht hatte Steven Weinberg mit seinem ungewöhnlichen Ansatz also die richtige Idee gehabt.
Feynman konnte von solchen Ideen noch nichts wissen, als er im akademischen Jahr 1962 - 1963 seine Gravitations-Vorlesung hielt und die wesentlichen Inhalte im Jahr 1963 noch einmal zusammenfasste (siehe Quantum Theory of Gravitation, Acta Physica Polonica 24, auch im Internet zu finden). Seine Vorlesung spiegelt vielmehr das Wissen der damaligen Zeit wider. In gedruckter Form umfasst sie mehr als zweihundert Seiten, auf denen er eine Vielzahl von Themen anspricht: das Mach’sche Prinzip, die Selbstenergie des Gravitationsfeldes, kosmologische Modelle des Universums, superschwere Sterne und vieles mehr. Tiefe Einsichten, die teils sogar ins Philosophische gehen und auch heute noch aktuell sind, wechseln sich dabei ab mit Analysen, die mittlerweile als überholt gelten.
Die Forschung auf dem Gebiet der Gravitation und Kosmologie ist eben seit den frühen 1960-er Jahren keineswegs stehen geblieben, sondern hat eine ganze Reihe bedeutender Fortschritte erzielt. So verstand man immer besser, was mit superschweren Sternen am Ende ihres Lebens geschieht und wie die Gravitation sie zu einem schwarzen Loch kollabieren lässt − dieser Begriff wurde übrigens erst um 1967 von Feynmans früherem Betreuer aus Princeton, John Archibald Wheeler, etabliert.
Diese Strahlung entsteht durch einen Quanteneffekt am Ereignishorizont des schwarzen Lochs, also genau an der Grenze, ab der nichts mehr der Gravitation des Lochs entkommen kann. Dabei geschieht folgendes: Die sich dort nach der Quantentheorie ständig bildenden und wieder vergehenden Teilchen-Antiteilchen-Paare können durch den Ereignishorizont getrennt werden. Eines der Teilchen fällt dabei mit negativer Energie in das schwarze Loch und verringert so dessen Masse, während das Partnerteilchen mit positiver Energie in die Freiheit entkommt. Letztlich zerstrahlt das schwarze Loch dadurch sehr langsam, wobei es eine umso heißere Wärmestrahlung erzeugt, je kleiner seine Masse ist. Ein schwarzes Loch von einer Sonnenmasse besitzt allerdings nur eine winzige Temperatur unterhalb von einem Zehn-Millionstel Kelvin.
Auch wenn der Nachweis dieser sehr schwachen Wärmestrahlung wohl noch lange unmöglich bleiben wird,
so zweifelt kaum jemand an der Korrektheit dieser Berechnung. Die Formeln für die Entropie und
Temperatur schwarzer Löcher stellen damit die beste Verbindung zwischen Gravitation und
Quantentheorie dar, die wir bis heute haben. Sie bilden einen wichtigen Prüfstein für jede
Theorie, die Quantentheorie und Gravitation unter einem gemeinsamen Dach vereinen möchte.
Falls Sie die konkreten Formeln einmal sehen wollen − hier sind sie: Für die Entropie S eines schwarzen Lochs der Masse M fand Stephen Hawking die Formel
Dabei ist k die Boltzmann-Konstante, A ist die Kugelfläche des Ereignishorizontes, der das schwarze Loch umgibt, und lp ist die Planck-Länge, sodass lp2 die Größe der sogenannten Planck-Fläche angibt. Die Entropie ist also proportional zur Anzahl an Planck-Flächen, die auf der Fläche des Ereignishorizontes Platz haben. Da die Planck-Fläche winzig klein ist, ergeben sich so für die Entropie extrem große Werte. Man kann sogar zeigen, dass es unmöglich ist, innerhalb der Kugel des Ereignishorizontes mehr Entropie unterzubringen.
Aus dieser Entropie kann man eine Temperatur T für das schwarze Loch ableiten. Dazu benötigt man die Kugelflächen-Formel A = 4 π R2 mit dem Schwarzschild-Radius R = 2 G M / c2 und die Formel 1/T = 1/c2 dS/dM für den Zusammenhang zwischen Entropie und Temperatur sowie die Formeln zu den Planck-Einheiten. Als Ergebnis erhält man die folgende Beziehung für die Temperatur T des schwarzen Lochs:
Dabei ist Ep die Planck-Energie. Diese Formel bedeutet, dass die Energie k T der Teilchen in der abgestrahlten Wärmestrahlung ungefähr dieselbe Größenordnung besitzt wie der Kehrwert der Energie M c2, die in der Masse M des schwarzen Lochs steckt − sofern man beide Energien als Vielfache der Planck-Energie ausdrückt. Wenn also die Masse eines schwarzen Lochs in Richtung der Planck-Masse schrumpft, so nähert sich die Energie der abgestrahlten Teilchen der Planck-Energie.
Das Auftreten der Planck-Energie und der Planck-Länge in diesen Formeln zeigt, dass hier Gravitation und relativistische Quantenfeldtheorie zusammenkommen, denn die Planck-Einheiten setzen sich aus den entsprechenden Naturkonstanten G, h und c zusammen.
Dabei wendet er für eine erste Abschätzung ein sehr einfaches Modell an: Er stellt sich vor, dass im Urknall alle Materie in einer gigantischen Explosion von einem einzigen Punkt ausging, wobei sich jedes Materieteilchen seitdem mit irgendeiner für das Teilchen charakteristischen Geschwindigkeit v vom Explosionsort entfernt. Diese Geschwindigkeit soll das Teilchen für alle Zeiten beibehalten. Schnellere Teilchen können sich dabei natürlich in einer festen Zeitspanne weiter vom Explosionsort entfernen.
Wenn nun seit dem Urknall bis heute die Zeitspanne T vergangen ist, so hat ein Teilchen mit der Geschwindigkeit v bis heute die Wegstrecke r = v · T zurückgelegt. Es gilt also für alle Materieteilchen in diesem Modell die Beziehung T = r/v. Den Kehrwert der rechten Seite bezeichnet man auch als Hubble-Parameter H = v/r. In unserem einfachen Modell ist also
H = 1/T = v/r
Die Zeit T = 1/H nennt man auch Hubble-Zeit. Sie ist in unserem Modell gleich dem Alter des Universums.
Die schnellsten Teilchen können nun maximal mit Lichtgeschwindigkeit c unterwegs sein und haben seit dem Urknall eine Strecke R = c · T zurückgelegt. Das Universum (genauer das für uns sichtbare Universum) entspricht also einer Materiekugel mit diesem Radius. Dabei wollen wir davon ausgehen, dass sich die gesamte Materie des Universums mit einer Dichte ρ gleichmäßig in dieser Kugel verteilt.
Nun kommt eine zweite Überlegung ins Spiel: Wenn Materie sich unter dem Einfluss der Gravitation zu einer Kugel zusammenballt − beispielsweise bei der Bildung eines Sterns aus einer Gaswolke − so setzt die Gravitation dabei eine bestimmte Energiemenge frei. Diese Energie wird gewissermaßen dem Gravitationsfeld entzogen, das dadurch eine negative Energie aufweist. Bei einer homogenen Materiekugel mit Radius R und Masse M ist diese Gravitationsenergie gleich
Egrav = − 3/5 · G M 2/R
(siehe Wikipedia: Gravitationsenergie). Wenn man diese Überlegung auf unsere Universums-Materiekugel anwendet, so könnte man sagen, dass unser Universum eben diese negative Gravitationsenergie aufweist. Genau so viel Energie bräuchte man vom Betrag her, um die Universumskugel gegen die Gravitation unendlich weit expandieren zu lassen. In seiner Vorlesung vernachlässigt Feynman übrigens den Faktor 3/5, da das Modell sowieso sehr vereinfacht ist − wir wollen ihn hier aus Gründen der Konsistenz beibehalten.
Und was wäre nun, wenn diese negative Gravitationsenergie des Universums vom Betrag her genau der Energie M c 2 entspricht, die in seiner Masse gespeichert ist, wenn also
3/5 · G M 2/R = M c 2
ist? In diesem Fall hätte das Universum − wenn wir Bewegungsenergien einmal außen vor lassen − die Gesamtenergie Null, denn negative Gravitationsenergie und positive Massenenergie kompensieren sich gerade.
Man kann aus dieser Beziehung nun eine Formel für die mittlere Dichte ρ für die Materiekugel und damit für unser Modell-Universum ableiten. Dazu dividieren wir beide Seiten durch M:
3/5 · G M/R = c 2
und setzen M = 4π/3 · R 3 ρ ein:
3/5 · G 4π/3 · R 3 ρ / R = c 2
Die 3 kürzt sich weg, ebenso wie ein R:
4π/5 · G · R 2 ρ = c 2
Für den Kugelradius hatten wir oben R = c T = c/H, was wir jetzt einsetzen:
4π/5 · G · (c 2/H 2) ρ = c 2
Das c 2 können wir auf beiden Seiten entfernen und nach der Dichte ρ freistellen:
ρ = 5/(4π) · H 2/G
Diese sogenannte kritische Dichte müsste unser Universum in unserem Spielmodell also haben, sodass sich negative Gravitationsenergie und in der Masse gespeicherte positive Energie gerade aufheben.
Nun ist unser Kugelmodell natürlich ziemlich einfach gestrickt. Wir müssten uns gewissermaßen ins Zentrum der Kugel setzen, sodass diese dem für uns sichtbaren Universum entspricht.
In realistischeren Modellen (siehe z.B. Zeitpfad, Zuatzinfo zu Kapitel 5.1) ändert sich der Vorfaktor für die kritische Dichte etwas und wir erhalten die korrekte Formel
ρcrit = 3/(8π) · H 2/G
Tatsächlich sagen die aktuellen Messdaten, dass unser Universum im Rahmen der Messgenauigkeit diese kritische Dichte aufweist. In unserem obigen Modell hätte es also (bis auf den Vorfaktor) ungefähr die Gesamtenergie Null in dem Sinne, dass die in seiner Masse gespeicherte Energie komplett aus seiner Gravitationsenergie hervorgehen könnte − die Gravitation könnte also die Masse des Universums erzeugen. Feynman war von dieser Möglichkeit fasziniert und schreibt:
Genau genommen reichen natürlich einfache Modelle wie das obige nicht wirklich aus, um präzise Aussagen über die Gesamtenergie des Universums treffen zu können − sie liefern lediglich Anhaltspunkte und helfen unserer Anschauung auf die Sprünge. Erst die Allgemeine Relativitätstheorie liefert den passenden Rahmen, um über das Universum als Ganzes reden zu können. Und in dieser Theorie ist es schwierig, die Gesamtenergie von Materie und ihrer Gravitation überhaupt erst zu definieren.
In bestimmten Fällen gelingt dies aber dennoch. Eine entsprechende Untersuchung findet man beispielsweise in Philip E. Gibbs: Covariant Energy-Momentum Conservation in General Relativity with Cosmological Constant (Prespacetime Journal, September 2010, Vol. 1, Issue 6, pp. 899-907). Dort weist der Autor nach, dass man für ein flaches Universum mit kritischer Dichte tatsächlich eine Gesamtenergie für jedes beliebig herausgegriffene Volumen definieren kann (sofern dies groß genug ist, um als homogen und isotrop zu gelten), und dass diese Gesamtenergie gleich Null ist. Die Gesamtenergie umfasst dabei vier Anteile:
Die negative Gravitationsenergie kompensiert also auch in einer allgemein-relativistischen Rechnung bei kritischer Dichte zu jedem Zeitpunkt genau die positiven Energien von Materie, Dunkler Energie und Strahlung. In diesem Sinne kann man tatsächlich sagen, dass ein flaches Universum mit kritischer Dichte die Gesamtenergie Null besitzt.
last modified on 22 October 2017