In den frühen 1960er Jahren schritt die Forschung in der Teilchenphysik weiter voran. Einen großen Anteil daran hatte Feynmans Sparringspartner und Rivale am Caltech: Murray Gell-Mann. Er rückte dem Problem, Ordnung in den Zoo der Teilchen zu bringen, mit mathematischen Mitteln zu Leibe.
Sein wichtigstes Werkzeug war die sogenannte Gruppentheorie. Mit ihr kann man sogenannte Symmetrien in der Physik beschreiben und damit Gemeinsamkeiten unter den Teilchen erkennen. Ein Beispiel für eine klassische Symmetrie ist die Drehsymmetrie: Dreht man eine dreidimensionale Kugel um ihren Mittelpunkt, so ändert sich ihr Erscheinungsbild dadurch nicht – sie ist kugelsymmetrisch.
Was geschieht nun, wenn wir keine Kugel, sondern ein Atom drehen? Man kann auf diese Weise beispielsweise die räumliche Orientierung von stehenden Elektronenwellen im Atom verändern. Was sich dabei aber nicht ändert, ist die Schwingungsenergie des Elektrons.
Können wir diese Idee möglicherweise dazu nutzen, um im Zoo der Teilchen nach entsprechenden Zusammenhängen zu suchen? Gibt es beispielsweise unter den Mesonen und Baryonen Teilchen mit gleicher oder ähnlicher Energie, also gleicher oder ähnlichen Teilchenmasse?
Das ist tatsächlich der Fall, beispielsweise bei den drei Pionen π+, π0 und π−. Gibt es vielleicht irgendeine Art von abstrakter „Drehung“, welche die drei Pionen ineinander umwandeln kann und vielleicht aus einem π+ ein π− gleicher Masse macht?
Man kann tatsächlich mathematisch eine solche "Drehung" definieren (siehe auch die Zusatzinfos unten). Wenn die Pionen aus irgendwelchen Bausteinen bestünden, so könnte eine solche Drehung Bausteine austauschen und beispielsweise aus einem π+ ein π− machen.
Gell-Mann schaute sich in den 1960er Jahren auch andere Teilchengruppen an und kam zu dem Schluss, dass er mit drei verschiedenen Bausteinen auskommen würde – man sagt auch, die Bausteine trügen drei verschiedene Flavors, denen er die Namen u (up), d (down) und s (strange) gab (letzteres hat natürlich etwas mit der von Gell-Mann eingeführten Strangeness von Teilchen zu tun).
Für die Mesonen musste Gell-Mann einen Baustein und einen Anti-Baustein kombinieren, für die Baryonen drei Bausteine. Immer wieder traten dabei Gruppen von acht Teilchen annähernd gleicher Masse auf (sogenannte Oktetts). Gell-Mann, dem es immer wieder gelang, besonders einprägsame Begriffe in der Physik zu etablieren, nannte seine Methode im Jahr 1961 daher den Achtfachen Weg (Eightfold Way) − eine Anspielung auf den Buddhismus.
Gell-Mann war es damit gelungen, eine erste Ordnung in den unübersichtlichen Teilchenzoo zu bringen − er hatte eine Art Periodensystem der Teilchen gefunden!
Als es im Jahr 1964 darum ging, den hypothetischen Bausteinen einen Namen zu geben, blitzte Gell-Manns sprachliches Talent erneut auf: er nannte sie Quarks nach einem Vorbild aus dem Roman Finnegans Wake des irischen Schriftstellers James Joyce.
Welche Eigenschaften müssen die Quarks haben?
Betrachtet man die Teilchenmassen, so sollten Up- und Down-Quark ungefähr gleich schwer sein, während das Strange-Quark mehr Masse haben muss. Der Spin muss gleich 1/2 sein, so wie bei Elektronen.
Wie sieht es mit der elektrischen Ladung der Quarks aus? Dem Up-Quark muss die Ladung +2/3 zugeordnet werden, dem Down- und dem Strange-Quark die Ladung –1/3. Die Antiquarks tragen die jeweils entgegengesetzte Ladung. Nur so ergeben sich die korrekten Gesamtladungen der Teilchen.
Die drittelzahligen Ladungen der Quarks sind sehr ungewöhnlich. Es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Teilchen mit drittelzahliger Ladung überhaupt existieren können. Entsprechend misstrauisch war die große Mehrheit der Physiker.
Zudem schien es, als sei das Pauli-Prinzip bei bestimmten Teilchen verletzt: die Quarks schienen alle dieselben Quantenzustände in ihnen zu besetzen, was für Teilchen mit Spin 1/2 verboten ist. Bevor man das Pauli-Prinzip aufgibt, verzichtet man lieber auf die Quarks.
Wie kritisch die Physiker damals der Idee von Quarks gegenüberstanden, bekam der junge US-amerikanische Physiker George Zweig ganz besonders zu spüren. Zweig hatte aus anderen Gründen ebenfalls die Existenz von Bausteinen gefordert. Als Zweig bei Feynman nach dessen Meinung dazu fragte, reagierte dieser reserviert. Zweig beharrte dennoch auf seiner Idee und nannte die Bausteine aces (das Wort ace steht im Englischen für die Spielkarte Ass). Als Zweig im Jahr 1964 seine Idee veröffentlichen wollte, wurde dies tatsächlich verhindert. Quarks oder aces wurden von vielen zwar als nützliches mathematisches Konstrukt angesehen, aber als reale physikalische Objekte nicht allzu ernst genommen.
Feynman fragte sich, ob man nicht aus den verfügbaren experimentellen Kollisionsdaten der Baryonen mehr über das Innenleben dieser Teilchen lernen konnte. Wenn es wirklich kleinere Bausteine im Inneren dieser Teilchen gab, konnte man dies vielleicht an der Art und Weise erkennen, wie sich die Teilchen bei den Kollisionen verhalten.
Um das Innere eines Protons möglichst sauber auszuleuchten, bräuchte man eine Art Super-Elektronenmikroskop. Dazu benötigt man Elektronen mit sehr großer Energie, wie sie nur ein Teilchenbeschleuniger erzeugen kann. Genau einen solchen Beschleuniger für Elektronen baute man seit dem Jahr 1962 in Kalifornien: den Stanford Linear Accelerator oder kurz SLAC. Im Jahr 1966 ging er in Betrieb.
Um das Innere des Protons zu erforschen, muss man sich sogenannte tiefinelastische Kollisionen ansehen, bei denen so viel Energie auf das Proton übertragen wird, dass dabei ganz neue Teilchen entstehen. Das virtuelle Photon, das die große Energiemenge vom Elektron auf das Proton überträgt, hat dadurch eine entsprechend kurze Wellenlänge und kann so selbst Details im Inneren des Protons auflösen.
Als man im Jahr 1968 solche tiefinelastischen Elektron-Proton-Kollisionen, bei denen weitere Teilchen entstehen, am SLAC auswertete, staunte man nicht schlecht. Überaschenderweise fand man vergleichsweise viele Elektronen, die durch die Protonen relativ stark aus ihrer Bahn abgelenkt wurden. Es sah so aus, als wären die Elektronen im Inneren der Protonen hier und da auf „harte“, punktförmige Objekte gestoßen und von diesen aus der Bahn geworfen worden.
Als diese Ergebnisse im Jahr 1968 bekannt wurden, arbeitete der amerikanische Physiker James Bjorken am SLAC. Bjorken war mit seinen 34 Jahren deutlich jünger als Feynman, der bereits in seinem fünfzigsten Lebensjahr war. Mit abstrakten mathematischen Methoden gelang es Bjorken, zu erklären, warum die Streudaten bestimmte Auffälligkeiten aufwiesen (heute Bjorken-Skalierung genannt). Allerdings verstand kaum jemand, was er da eigentlich machte.
Auch Feynman hatte sich immer wieder für die aktuellen Kollisionsexperimente interessiert. Dabei war in ihm die folgende Idee gereift:
Angenommen, im Inneren eines Protons gäbe es tatsächlich irgendwelche punktförmigen Objekte − Feynman nannte sie Partonen. Nun stellte er sich vor, wie wohl ein ruhendes Proton aus Sicht eines nahezu mit Lichtgeschwindigkeit heranfliegenden Elektrons aussieht. Aufgrund der relativistischen Zeitdilatation und Lorentzkontraktion sieht das Proton für ein sehr hochenergetisches Elektron wie ein flacher Pfannkuchen aus, in dem die Partonen wie Rosinen nahezu bewegungslos eingebettet sind.
Mit diesem Bild im Kopf besuchte Feynman im August 1968 das SLAC. Bjorken selbst war leider zu dieser Zeit nicht vor Ort, aber die anderen Physiker zeigten Feynman die neuesten Daten und Bjorkens Schlussfolgerungen. Feynman ahnte, dass er dieselben Resultate mit seinem Partonmodell erreichen konnte. Also setzte er sich hin und berechnete über Nacht, was sein Modell zur tiefinelastischen Streuung von Elektronen an Protonen zu sagen hatte. Das Ergebnis war ganz einfach: Das virtuelle Photon, das das ankommende Elektron aussendet, trifft im Inneren des Protons auf ein einzelnes Parton und schleudert dieses in eine bestimmte Richtung. Damit konnte Feynman die abstrakten Ergebnisse Bjorkens sehr anschaulich reproduzieren!
Es war daher kein Wunder, dass sich Feynmans Partonmodell unter den Physikern schnell herumsprach. Die Ergebnisse der tiefinelastischen Kollisionen bewiesen, dass das Proton wirklich aus kleineren Bausteinen bestand.
Dass die nachgewiesenen Partonen identisch mit Gell-Manns Quarks waren, konnte nach und nach mit vielen weiteren Experimenten nachgewiesen werden.
Nachdem die Existenz von Quarks endlich weitgehend akzeptiert war, setze eine stürmische Entwicklung ein. So erkannte im Jahr 1971 der deutsche Physiker Harald Fritzsch zusammen mit Gell-Mann, wie sich das Problem mit dem Pauli-Prinzip lösen ließ: Sie nahmen an, dass jedes Quark neben seinem Flavor noch über eine weitere Eigenschaft verfügt, die sie Color (Farbe) nannten, sodass sich scheinbar identische Quantenzustände durch ihre "Farbe" unterschieden.
Fritzsch und Gell-Mann fanden ein Jahr später heraus, dass man die Farben der Quarks als die grundlegenden Ladungen der starken Wechselwirkung ansehen kann, weswegen man heute meist von „Farbladung“ spricht. So wie Photonen auf elektrische Ladungen reagieren und von diesen emittiert und absorbiert werden können, so reagieren Gluonen auf die Farbladungen der Quarks. Auf dieser Basis gelang es den beiden Physikern, analog zur QED eine Theorie der starken Wechselwirkung zu formulieren, der sie den Namen Quantenchromodynamik (QCD) gaben.
Quarks und Gluonen existieren nicht als freie Teilchen − sie sind im Inneren von Baryonen oder Mesonen eingesperrt. Freie Farbladung wie bei einem einzelnen Quark können nicht existieren. Sie müssen nach außen hin neutralisiert werden, in Summe also "weiß" ergeben. Daher müssen sich Quarks immer mit anderen Quarks oder Antiquarks passend zusammentun und Mesonen oder Baryonen bilden.
Man hat vielfach versucht, dieses sogenannte Confinement − also den Einschluss der Quarks und Gluonen im Inneren von Mesonen und Baryonen − direkt aus der QCD herzuleiten, doch wirklich befriedigend ist dies bis heute noch nicht gelungen.
Auf die erfolgreiche Formulierung der QCD folgte in den nächsten Jahren eine ganze Reihe weiterer wichtiger Entdeckungen und theoretischer Entwicklungen: Neue schwerere Quarks und Leptonen wurden entdeckt und man fand heraus, wie sich elektromagnetische und schwache Wechselwirkung in einer gemeinsamen Theorie miteinander vereinen lassen. Das Ergebnis war schließlich Ende der 1970er Jahre das sogenannte Standardmodell der Elementarteilchen.
Feynman, der mit seinen Arbeiten so viele Grundlagen des Standardmodells mit geschaffen hatte, konnte sich leider an dessen Ausformulierung und der Klärung der offenen Fragen immer weniger beteiligen. Seit im Jahr 1978 bei ihm erstmals Krebs diagnostiziert wurde, war es ihm nicht mehr möglich, sich wie zuvor an der vordersten Front der Forschung zu beteiligen.
a) Wie man den Spin eines Elektrons kippt
b) Singuletts und Tripletts im Heliumatom
c) Die Flavor-Symmetrie schafft Ordnung im Teilchenzoo
Eine weitere Folge von Symmetrien ist, dass sie die Form der mathematischen Gleichungen prägen, mit denen ein physikalisches System beschrieben werden kann. So ist es kein Zufall, dass man in der klassischen Physik sehr gerne Vektoren verwendet, beispielsweise um Geschwindigkeit und Impuls eines Teilchens zu charakterisieren oder um elektrische und magnetische Felder darzustellen. Wenn man dann beispielsweise zu einem gedrehten Bezugssystem wechselt, so drehen sich die Vektoren einfach passend mit. Es funktioniert so intuitiv, dass man kaum noch darüber nachdenkt.
Geht man von der klassischen Physik zur Quantenmechanik über, so wird die Sache komplizierter. Was geschieht mit den Wahrscheinlichkeitsamplituden eines Systems, wenn man dieses um einen bestimmten Winkel dreht?
Ein gutes Beispiel dafür ist der Spin des Elektrons, den man sich häufig auch als Eigendrehimpuls des Teilchens veranschaulicht. In der klassischen Mechanik ist ein solcher Drehimpuls ein Pfeil (Vektor), der in Richtung der Rotationsachse zeigt und dessen Länge den Drehschwung repräsentiert, wobei von der Pfeilspitze aus gesehen die Rotation gegen den Uhrzeigersinn erfolgt. Dabei kann der Drehimpuls und mit ihm die Rotationsachse in jede beliebige Raumrichtung zeigen.
Quantenmechanisch ist eine solche Rotationsachse nicht mehr vollständig messbar, und es spricht vieles dafür, dass es sie auch gar nicht mehr im klassischen Sinn gibt. Was man messen kann, ist folgendes: Man sucht sich zunächst eine beliebige Richtung im Raum aus, beispielsweise indem man ein inhomogenes Magnetfeld in dieser Richtung erzeugt. Um es konkret zu machen wollen wir die z-Achse auswählen, also die senkrechte Richtung von unten nach oben. Dann bestimmt man, ob sich das Elektron im oder gegen den Uhrzeigersinn um die z-Achse dreht. Im einen Fall werden die Teilchen wie ein kleiner Magnet in die Richtung abgelenkt, in der das Magnetfeld stärker wird − sagen wir nach oben −, im anderen Fall gegen diese Richtung, also nach unten. Strenggenommen stört die elektrische Ladung der Elektronen bei diesem Experiment, da sie zu einer zusätzlichen Ablenkung führt. Wir ignorieren das im Folgenden einfach, da es darauf hier nicht ankommt. Mit elektrisch neutralen Spin-1/2-Teilchen − beispielsweise Silberatomen − funktioniert der Versuch übrigens auch in der Realität hervorragend.
Die Ablenkung im Magnetfeld in die eine oder andere Richtung ist bei Elektronen immer gleich groß. Das bedeutet, dass der Spin des Elektrons um die Magnetfeldachse immer denselben Betrag hat, nämlich 1/2 ℏ; mit ℏ = h/(2π) und dem Planck'schen Wirkungsquantum h. Meist sagt man einfach, der Spin beträgt +1/2 (Spin ↑) oder −1/2 (Spin ↓), je nachdem, in welche Richtung die Ablenkung erfolgt.
Um den Spin des Elektrons quantenmechanisch zu beschreiben, brauchen wir also zwei Wahrscheinlichkeitsamplituden − nennen wir sie ψ↑ und ψ↓. Ihr Betragsquadrat gibt jeweils an, wie wahrscheinlich das Elektron in unserem Beispiel nach oben oder unten abgelenkt wird.
Wie dreht bzw. kippt man nun den Spin eines Elektrons? Um das zu klären, starten wir mit einem Elektron, dessen Spin garantiert in z-Richtung orientiert ist, sodass ψ↑ = 1 und ψ↓ = 0 ist. Solche Elektronen können wir beispielsweise erzeugen, indem wir in unserem senkrechten Magnetfeld nur die nach oben abgelenkten Elektronen behalten. Würden wir diese Elektronen ein weiteres Mal durch dasselbe Magnetfeld schicken, so würden sie mit 100 % Wahrscheinlichkeit erneut nach oben abgelenkt.
Wir wollen nun den Spin des Elektrons in dessen Flugrichtung gesehen um den Winkel θ nach rechts kippen. Elektronen mit diesem gekippten Spin können wir analog zu oben erzeugen, indem wir ein ebenfalls um den Winkel θ nach rechts gekipptes Magnetfeld als Filter verwenden und nur die Elektronen behalten, die in die Richtung abgelenkt wurden, in der das gekippte Magnetfeld stärker wird. Würden wir diese Elektronen mit ihrem gekippten Spin erneut durch dieses gekippte Magnetfeld schicken, so würden sie garantiert erneut in dieselbe Richtung abgelenkt.
Was würde nun geschehen, wenn wir diese Elektronen mit ihrem gekippten Spin durch das senkrecht orientierte Magnetfeld schicken? In diesem Fall müssen die Quadrate der Amplituden ψ↑ und ψ↓ die entsprechenden Ablenkwahrscheinlichkeiten ergeben. Wir würden erwarten, dass die Elektronen umso häufiger nach unten abgelenkt werden, je mehr ihr Spin nach unten gekippt wurde, also je größer der Kippwinkel θ ist. ψ↑ sollte also mit wachsendem θ schrumpfen, während ψ↓ entsprechend anwächst. Bei einem Kippwinkel von 180 Grad ist der Spin dann ganz nach unten gekippt und wir haben ψ↑ = 0 und ψ↓ = 1.
Und wenn wir weiter kippen, über 180 Grad hinaus, sodass der Spin sich zunehmend wieder nach oben orientiert und wieder mehr Elektronen nach oben abgelenkt werden? ψ↓ hatte bei 180 Grad sein Maximum erreicht und beginnt wieder zu schrumpfen. ψ↑ hatte dagegen bei 180 Grad seinen Nulldurchgang und gerät anschließend in den negativen Bereich. Bei 360 Grad, also wenn wir den Spin nach einer kompletten Runde wieder ganz nach oben gekippt haben, ist ψ↓ = 0 und ψ↑ = − 1. Damit liegt die Wahrscheinlichkeit, nach oben abgelenkt zu werden, wieder bei 100 %, denn erst das Betragsquadrat der Amplitude ergibt ja die Wahrscheinlichkeit. Die genauen Formeln dazu findet man in der folgenden Abbildung:
Interessanterweise hat sich das Vorzeichen von ψ↑
bei der 360-Grad-Kippung umgekehrt. Für die Wahrscheinlichkeiten ist das egal,
aber man sollte diese mathematische Besonderheit von Spin-1/2-Amplituden
dennoch im Hinterkopf behalten: Bei einer Drehung um 360 Grad wechseln sie
das Vorzeichen, und erst bei einer Drehung um 720 Grad sehen sie wieder so aus wie vorher.
Diese kuriose Eigenschaft der Amplituden hängt eng mit dem Pauli-Prinzip
zusammen.
Das Drehverhalten der Amplituden ist also komplizierter als beispielsweise das Drehverhalten eines Geschwindigkeitsvektors: Die Amplituden verändern sich zwar in gewisser Weise synchron zur Drehung bzw. Kippung des Spins, werden aber nicht wie ein Geschwindigkeitsvektor eins-zu-eins mitgedreht. Mathematisch spricht man daher davon, dass eine sogenannte Darstellung der Drehgruppe auf die Amplituden einwirkt. Nimmt man es mathematisch ganz genau, dann ist es eine sogenannte Strahldarstellung, was hier nichts anderes bedeutet, als dass eine Drehung um 360 Grad die Amplituden umkehrt und erst eine Drehung um 720 Grad die ursprünglichen Amplituden wieder zurückbringt. Die Gruppe, die bei Drehungen auf diese Art auf die beiden Amplituden des Spins einwirkt, wird auch als SU(2) bezeichnet. Die 2 steht dabei für die beiden Amplituden und das U steht für den Begriff unitär, was im Wesentlichen aussagt, dass die beiden quadrierten Amplitudenbeträge auch bei Drehungen zusammen immer gleich eins sein müssen − die Gesamtwahrscheinlichkeit für die beiden Ablenkmöglichkeiten im Magnetfeld muss ja in Summe immer 100 % ergeben. Das S steht wiederum für das Wort speziell, worauf wir hier nicht genauer eingehen wollen. SU(2) ist also die speziell unitäre Gruppe auf zwei Amplituden.
Diese beiden Spins müssen in der Quantenmechanik durch gemeinsame Amplituden beschrieben werden, die wir als ψ↑↑, ψ↓↓, ψ↑↓ und ψ↓↑ bezeichnen können. Dann ist beispielsweise |ψ↑↑|2 die Wahrscheinlichkeit dafür, dass beide Elektronenspins zugleich nach oben in z-Richtung zeigen.
Wie verändern sich nun diese vier Amplituden bei einer räumlichen Drehung, also beim Kippen der Spins? Die genauen Einzelheiten sind jetzt komplizierter als bei nur einem Spin, denn es treten in den Formeln für die gekippten Spins Produkte und Quadrate von sin (θ/2) und cos (θ/2) auf. Wir wollen uns das hier nicht im Detail ansehen, sondern nur feststellen, dass sich auch hier die Amplituden bei einer räumlichen Drehung gewissermaßen mitdrehen, wenn auch auf komplexere Weise als bei nur einem einzigen Spin. Damit entsteht wieder eine Darstellung der Drehungen − oder genauer der Gruppe SU(2) − diesmal allerdings auf den vier Amplituden der beiden miteinander gekoppelten Spins.
Analysiert man das Drehverhalten der vier Doppelspin-Amplituden genauer, so entdeckt folgendes: Startet man mit der antisymmetrischen Amplitudenkombination
so ändert sich an diesen Amplituden bei einer Drehung überhaupt nichts − sie bleiben unverändert! Das hängt damit zusammen, dass sich bei Drehungen das Symmetrieverhalten der Amplitudenkombinationen für das Vertauschen von Teilchen nicht ändert. Wenn sich die beiden Elektronen in dem Spinzustand befinden, der durch diese Amplitudenkombination charakterisiert ist, dann verhalten sie sich bei Drehungen so, als hätten sie in Summe überhaupt keinen Spin. Die beiden Elektronenspins sind immer entgegengesetzt zueinander orientiert (also antiparallel), egal in welcher Raumrichtung man dies misst und egal wie man das System dreht. Man bezeichnet diesen Quantenzustand daher auch als Spin-Null-Zustand oder als Singulett-Zustand und schreibt ihn gerne auch kurz als
was nichts anderes bedeutet, als dass ψ↑↓ = − ψ↓↑ ist und die beiden anderen Amplituden Null sind.
Anders ist das bei den symmetrischen Amplitudenkombinationen, bei denen ψ↑↓ = ψ↓↑ ist und ψ↑↑ sowie ψ↓↓ ungleich Null sein dürfen: Hier können sich alle vier Amplituden bei Drehungen verändern, wobei aber immer ψ↑↓ = ψ↓↑ bleibt − es sind also nur drei Amplituden voneinander unabhängig, weshalb man auch gerne von den Triplett-Zuständen spricht. Da hier auch die beiden Amplituden ψ↑↑ und ψ↓↓ vorkommen, sagt man auch, die beiden Elektronenspins seien parallel zueinander orientiert. Aufbauen lassen sich diese symmetrischen Amplitudenkombinationen aus nur drei Basiskombinationen:
Diese drei Kombinationen kann man mit passenden Vorfaktoren versehen und aufaddieren und erhält so jede andere symmetrische Amplitudenkombination. In Kurzschreibweise notiert man diese drei Basiszustände auch gerne als
Man sieht, wie kompliziert das Ganze bei zwei Spins geworden ist: Ständig muss man über Amplituden reden und ihr komplexes Drehverhalten im Blick haben. Wie schön waren da doch Geschwindigkeitsvektoren, die man anschaulich sofort im Griff hat. Aber es hilft nichts: Die Quantenwelt funktioniert nun einmal so.
Was bedeutet das alles nun für die beiden Elektronen im Heliumatom? Ihre räumliche Wellenfunktion kann im anziehenden Feld des Atomkerns verschiedene Schwingungsformen mit unterschiedlicher Energie ausbilden. Dabei können sich die beiden Elektronenspins jeweils entweder im Singulett-Zustand oder in einem der Triplett-Zustände befinden.
Und jetzt kommt das entscheidende Symmetrieargument:
Angenommen, die Elektronen befinden sich in einem vollkommen kugelsymmetrischen Schwingungszustand. Diese drehsymmetrischen Elektronenzustände sind die sogenannten s-Zustände, bei denen die Elektronen keinen Bahndrehimpuls L um den Atomkern herum aufweisen ( L = 0 ).
Wenn wir ein solches Heliumatom im Raum drehen, so drehen sich dadurch auch die Spins der beiden Elektronen. Es kann für die Energie des Heliumatoms aber keinen Unterschied machen, ob und wie wir das Heliumatom im Raum drehen. Die Energie des Elektronenzustandes muss also vor und nach einer beliebigen Drehung dieselbe sein.
Bei den Spin-Singulett-Zuständen ist das sofort einleuchtend, denn diese bleiben bei einer Drehung unverändert.
Bei den Triplett-Zuständen ist das etwas komplexer: Sie werden bezüglich der Spins durch eine Drehung ineinander umgewandelt. Da sich ihre Energie dabei nicht ändern soll, muss die Energie der drei Triplett-Zustände bei gleicher räumlicher Schwingungsform der Elektronenwelle dieselbe sein. Erst wenn wir die Drehsymmetrie aufheben, indem wir beispielsweise in senkrechter Richtung ein äußeres Magnetfeld einschalten, unterscheidet sich die Energie der Triplett-Zustände.
Angenommen, die beiden Teilchen, aus denen die Pionen bestehen könnten, besäßen eine Art inneren Spin, der nichts mit Drehimpulsen oder räumlichen Drehungen zu tun hat. Werner Heisenberg sprach in ähnlichem Zusammenhang im Jahr 1932 vom Isospin, doch im Hinblick auf die folgende Diskussion wollen wir lieber den moderneren Begriff Flavor verwenden, was so viel wie Aroma oder Geschmack bedeutet und natürlich weder mit echten Aromen noch Geschmäckern irgendetwas zu tun hat. Flavor ist einfach nur irgendeine Eigenschaft, die jedes der beiden hypothetischen Teilchen im Inneren der Pionen aufweisen kann und deren tiefere Bedeutung wir noch ergründen müssen. Analog zum Spin der Elektronen wollen wir auch beim Flavor zunächst annehmen, dass dieser genau zwei Werte annehmen kann, die wir mit Up und Down oder kurz u und d bezeichnen wollen.
Wir können nun die Flavor-Quantenamplituden der hypothetischen Baustein-Teilchen einer inneren Flavor-Drehung unterziehen, die genauso aussehen soll wie die Drehung der Spinamplituden, nur dass ihr keine äußere räumliche Drehung entspricht. Eine innere Flavor-Drehung um 180 Grad würde also aus einem u-Flavor einen d-Flavor machen, oder genauer: Sie würde aus der Amplitudenkombination ψu = 1 und ψd = 0 die Kombination ψu = 0 und ψd = 1 machen. Mathematisch ist beim Flavor also dieselbe Gruppe SU(2) am Werk wie bei den Spins.
Wenn Mesonen aus zwei Teilchen mit Flavor bestehen und wenn die Analogie zu den beiden Elektronen im Heliumatom perfekt wäre, so würden wir die Flavor-Triplett-Zustände jetzt mit uu, dd und ud + du bezeichnen und sie mit den drei Pionen π+, π− und π0 gleichsetzen. Nun kann aber beispielsweise das neutrale Pion π0 in zwei Photonen zerfallen, genauso wie das beispielsweise ein Elektron und ein Positron tun, wenn sie sich gegenseitig vernichten. Es liegt daher nahe, dass die Pionen und letztlich alle Mesonen nicht aus zwei Teilchen bestehen, sondern aus einem Teilchen und einem Antiteilchen zusammengesetzt sind.
Man kennzeichnet den Flavor von Antiteilchen meist durch einen darüber gesetzten Querstrich. Da dies in html schlecht geht, schreiben wir hier einfach u' für den Anti-Up-Flavor. Das Antiteilchen im Inneren der Mesonen kann also die beiden Flavorwerte u' und d' aufweisen. Reicht es also, beispielsweise statt uu nun einfach die Flavorkombination uu' für das positive Pion π+ zu verwenden? Leider nein, denn Antiteilchen haben immer genau die entgegengesetzte Ladung wie die zugehörigen Teilchen, sodass die Kombination uu' die Ladung Null hätte. Versuchen wir also, in den drei Flavor-Triplett-Zuständen das zweite u durch ein d' und das zweite d durch ein u' zu ersetzen. Das positive und negative Pion hätten dann die Flavorkombination ud' sowie du'.
Da wir es nun mit dem Flavor von Antiteilchen zu tun bekommen haben, müssten wir eigentlich noch genauer untersuchen, ob sich diese Antiflavor bei einer inneren Flavor-Drehung ebenfalls analog zu Spins drehen. Das tun sie bis auf einen kleinen subtilen Punkt, der mit einem Vorzeichen zusammenhängt. Die wesentlich Folge davon ist, dass im Singulett-Zustand aus der Differenz eine Summe wird, im Triplett-Zustand dagegen aus der Summe eine Differenz. Die Flavor-Singulett- und Triplett-Zustände lauten also:
Triplett: ud', uu' − dd', du', z.B. für die drei Pionen und die drei Rho-Mesonen
Singulett: uu' +dd', z.B. für das ω-Meson
Die Tatsache, dass die drei Pionen und die drei Rho-Mesonen jeweils nahezu dieselbe Masse haben, bedeutet, dass die Flavor-Drehgruppe SU(2) eine Symmetriegruppe der starken Wechselwirkung sein muss, die unsere hypothetischen Baustein-Teilchen zu den Mesonen zusammenschweißt.
So wie sich bei einer Drehung die Energien im Heliumatom nicht ändern, so ändern sich bei einer Flavor-Drehung auch die Massen der Baryonen und Mesonen (nahezu) nicht. Die starke Wechselwirkung behandelt also die beiden Flavor u und d als gleichberechtigt. Für sie sind die drei Pionen gleichwertige Quantenzustände. Erst die elektromagnetische Wechselwirkung sorgt für den Unterschied zwischen diesen drei Teilchen.
Es gibt eine ganze Reihe weiterer Mesonen, die wir bisher noch nicht betrachtet haben und die wir jetzt mit hinzunehmen wollen. Dazu gehören beispielsweise die drei Kaonen K+, K0 und K−, die uns in Kapitel 4.3 bereits begegnet sind. Diese Mesonen besitzen eine zusätzliche Eigenschaft, die Murray Gell-Mann in den frühen 1950er Jahren eingeführt und als Strangeness bezeichnet hatte, um die relativ lange Lebensdauer dieser Teilchen erklären zu können.
Als Gell-Mann die Struktur des Teilchenzoos untersuchte, kam er auf die Idee, die Strangeness als weiteren Flavorwert für die hypothetischen Teilchen hinzuzunehmen, aus denen sich Mesonen und Baryonen zusammensetzen könnten. Wir haben es jetzt also mit drei Flavorwerten zu tun: u (Up), d (Down) und s (Strange). Flavordrehungen werden dann nicht mehr durch die Symmetriegruppe SU(2) beschrieben, sondern durch die größere Gruppe SU(3).
Es würde zu weit führen, genauer auf die mathematischen Details dieser Gruppe einzugehen. Es läuft im Grunde alles analog zu vorher, nur dass mehr Amplituden betrachtet werden müssen und wir keine direkte Analogie zu räumlichen Drehungen und Spins mehr aufbauen können. Entscheidend ist, dass es analog zu den Tripletts immer noch Gruppen von Zuständen gibt, die durch SU(3)-Drehungen miteinander verbunden sind und dieselbe Masse haben müssen, wenn alle drei Flavor aus Sicht der starken Wechselwirkung gleichwertig sind. Diese Zustände unterscheiden sich nicht nur durch ihre elektrische Ladung wie bei den Tripletts, sondern zusätzlich durch ihre unterschiedliche Strangeness, sodass es sich anbietet, sie als Punkte oder Kreise in einer zweidimensionalen Ebene darzustellen.
Kombiniert man bei den Mesonen wieder Flavor mit Antiflavor, so ergeben sich bei drei Flavorn insgesamt 3 mal 3 gleich 9 Flavor-Zustände, die sich in ein Singulett und ein Oktett aufteilen. Das Oktett aus acht der neun Zustände ersetzt damit unser Triplett von vorher. Gell-Mann gelang es mit dieser Methode, sämtliche damals bekannten Mesonen entweder einem Oktett oder einem Singulett zuzuordnen, wobei die Mesonen in ihrem jeweiligen Oktett zumindest grob eine halbwegs ähnliche Masse aufweisen.
last modified on 11 October 2017