Die letzten Jahre in Feynmans Leben wurden von seiner Krebserkrankung überschattet. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sein gewohntes Leben im Kreis seiner geliebten Familie weiterzuführen und seine Interessen weiterhin mit all der Energie zu verfolgen, die er noch aufbringen konnte. Dabei ließ er sich zuletzt sogar auf ein Abenteuer ein, das ihn besonders in den USA auch außerhalb der Wissenschaft zu einem der bekanntesten Physiker aller Zeiten machen sollte.
Feynman erholte sich gerade von seiner letzten Operation, als es zu dem bis dahin schlimmsten Unfall in der amerikanischen Raumfahrtgeschichte kam: Am 28. Januar 1986 brach die Raumfähre Challenger gut eine Minute nach dem Start bei ihrer zehnten Mission in etwa 15 Kilometer Höhe auseinander. Alle sieben Astronauten an Bord verloren ihr Leben, unter ihnen die Lehrerin Christa McAuliffe, die Kinder live aus dem Weltraum unterrichten sollte.
Einige Tage nach dem Unfall erhielt Feynman einen Anruf vom Direktor der NASA, William Graham.
Graham hatte die Aufgabe,
eine Kommission zur Untersuchung des Challenger-Unglücks zusammenzustellen, und
Feynman schien ihm genau der richtige für diese Aufgabe zu sein.
Nach einigem Zögern stimmte Feynman schließlich zu und rief Graham zurück. Er würde bis zu sechs Monate lang all seine Energie in die Untersuchung investieren, aber danach würde er die Kommission verlassen, egal was dabei herauskommen würde. Am nächsten Tag rief Graham zurück und teilte Feynman mit, er sei als Mitglied der Kommission akzeptiert worden. Die Leitung würde bei dem ehemaligen Außenminister William P. Rogers liegen. Das erste Meeting sollte zwei Tage später in Washington stattfinden.
Prima, dachte Feynman – da hatte er ja noch einen Tag Zeit, um sich vorab schon einmal von seinen technisch versierten Freunden und Bekannten am nahegelegenen Jet Propulsion Laboratory (kurz JPL) zumindest kurz in die Technik des Spaceshuttles einweisen zu lassen. Dabei erhielt er auch erste Hinweise auf die möglichen Schwachstellen der Raumfähre. So findet sich bereits in der zweiten Zeile von Feynmans Aufzeichnungen des Meetings die Information, dass die sogenannten O-Ringe Versengungsspuren aufwiesen. Bei diesen O-Ringen handelte es sich um große ringförmige Dichtungsgummis, die bei den beiden seitlichen Feststoffraketen eingesetzt wurden, um deren zylindrische Teilsegmente gasdicht miteinander zu verbinden.
Nach seiner Lehrstunde am JPL nahm Feynman den Nachtflug von Kalifornien nach Washington. Das Meeting fand in William Rogers Büro statt, wo Feynman die anderen Mitglieder der Kommission kennenlernte, unter ihnen Neil Armstrong, der erste Mann auf dem Mond, Sally Ride, die erste amerikanische Frau im Weltraum, sowie ein gutaussehender Herr in Uniform: General Donald J. Kutyna. Schon bald stellte sich heraus, dass Feynman und der General sich mochten und gut zusammenpassten.
Weitere Meetings folgten, doch Feynman war wenig begeistert über deren Ineffizienz – da hatte er am JPL innerhalb eines Tages mehr erfahren. Feynman fühlte sich ausgebremst. Er wollte herumlaufen und sich mit den NASA-Ingenieuren unterhalten, was dem Vorsitzenden William Rogers gar nicht Recht war. „I was obviously quite a pain in the ass for Mr. Rogers“, meinte Feynman dazu.
Graham ermöglichte es Feynman schließlich doch, mit den NASA-Experten zu sprechen. Dabei erfuhr dieser weitere Details zu den O-Ringen: Wenn sich nach dem Zünden der Feststoffraketen in deren Innenraum ein enormer Gasdruck aufbaut, vergrößern sich die Lücken zwischen den einzelnen Segmenten der Raketen innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde. Das Gummi der O-Ringe muss sich also ebenfalls schnell genug ausdehnen, um die Abdichtung nach außen zu gewährleisten. Dafür muss das Gummi elastisch genug sein. Bei einigen Flügen wiesen einige der O-Ringe gewisse Undichtigkeiten auf, was die NASA weitgehend ignorierte − schließlich war es bei den Flügen bisher immer gut gegangen.
Auch General Kutyna gab Feynman einen Hinweis in diese Richtung: Als das Shuttle abhob, lag die Außentemperatur unter dem Gefrierpunkt. Ob diese Kälte wohl irgendeinen Einfluss auf die O-Ringe habe?
Feynman war sofort klar, worauf Kutyna hinauswollte: Kälte machte das Gummi der O-Ringe steif. Sie würden beim Start also möglicherweise nicht schnell genug auf die sich vergrößernden Lücken reagieren und sie nicht mehr vollständig abdichten können.
Feynman ging davon aus, Kutyna sei selber auf diese Idee gekommen. Was er nicht wusste: Kutyna hatte den Tipp von einem befreundeten Astronauten der NASA erhalten und nach einem Weg gesucht, die Information ins Spiel zu bringen, ohne den Astronauten dadurch zu gefährden. Erst im Jahr 2016 deckte Kutyna auf, wer der Informant gewesen war: Es war die NASA-Astronautin Sally Ride, die ebenfalls Mitglied der Kommission war. Sally war mittlerweile (im Jahr 2012) verstorben, sodass ihr diese Enthüllung nicht mehr schaden konnte.
Nach und nach tauchten weitere Hinweise auf, dass die O-Ringe bei der Kälte am Starttag Schuld an dem Unglück waren. Sogar die Ingenieure der Herstellungsfirma für die O-Ringe hatten der NASA vor dem Start empfohlen, unterhalb von rund 10 Grad Celsius nicht zu starten. Hatte das Management der NASA womöglich versagt und wissentlich die Warnungen der Ingenieure in den Wind geschossen?
Feynman wollte der Sache auf den Grund gehen und es selbst ausprobieren. In einem der öffentlichen Meetings war es dann soweit: Ein Modell der Verbindungsstelle samt Dichtungsring wurde herumgereicht und landete schließlich bei Feynman. Dieser nahm das Modell auseinander, um das Gummistück des O-Rings zu entnehmen. Dann drückte er das Gummistück mit einer mitgebrachten Schraubzwinge zusammen und tunkte es in das Eiswasser vor ihm.
Nach einigen Minuten war es abgekühlt und Feynman meldete sich zu Wort: „Ich habe dieses Stück Gummi dem Modell entnommen und es in einer Schraubzwinge eingeklemmt eine Weile in Eiswasser getaucht.“ Dann nahm er die Schraubzwinge aus dem Eiswasser und öffnete die Zwinge: „Ich habe beobachtet, dass wenn man die Zwinge öffnet, das Gummi nicht in seine alte Form zurückspringt. Das bedeutet, dass es für einige Sekunden keine Elastizität in diesem Material gibt, wenn man es auf null Grad Celsius abkühlt. Ich glaube das ist von gewisser Bedeutung für unser Problem.“
Am Abend zeigten alle Nachrichtensendungen sein Experiment. Sein ungewöhnlicher Auftritt hatte Feynman über Nacht zu einem nationalen Helden gemacht, der die Wahrheit ans Licht bringt.
Nun war es nicht mehr möglich, die Ursache für das Unglück in einem Wust aus Details zu verstecken, und man konnte sich der Frage widmen, wieso die NASA das nicht erkannt und die Warnungen der Ingenieure ignoriert hatte. Diesen Fragen ging Feynman in den nächsten Monaten nach und brachte noch einiges ans Tageslicht.
Besonders regte sich Feynman über die Risikoabschätzung auf, mit der das Management der NASA den Flug der Shuttles bewertet hatte. Man behauptete doch allen Ernstes, das Risiko eines schweren Unfalls läge nur bei 1 zu 100 000. Realistisch wären Werte zwischen 1 zu 50 und 1 zu 200 gewesen. „Das Management der NASA überschätzt die Zuverlässigkeit seines Produkts bis hinein in den Bereich reiner Fantasie“, schreibt Feynman im Abschlussbericht.
Feynman hatte einige Schwierigkeiten damit, seine unbequemen Ergebnisse im Abschlussbericht der Kommission unterzubringen. Erst als er damit drohte, seine Unterschrift unter den Abschlussbericht zu verweigern, durfte er seine Ergebnisse als Anhang beifügen. Feynman beendet diesen Anhang mit den folgenden Worten:
Als Feynman nach dem Ende der Untersuchung im Juni 1986 ans Caltech zurückkehrte, war er ziemlich ausgelaugt. Die anstrengende Arbeit in der Kommission hatte ihn angesichts seines Gesundheitszustands viel Energie gekostet. Im September musste sich Feynman einer weiteren größeren Operation unterziehen. Rund ein Jahr später erfolgte im Oktober 1987 die nächste schwere Operation. Im November trat Feynman zum letzten Mal in der Öffentlichkeit auf − die fortscheitende Krebserkrankung forderte nun zunehmend ihren Tribut.
Anfang Februar 1988 versagte Feynmans noch funktionierende Niere, während der Krebs weiter voranschritt. Allen war klar, dass es zu Ende ging. Richard sagte seiner Schwester Joan und seiner Frau Gweneth, dass er gerne auf eine Dialyse verzichten würde, denn diese würde sein Leiden nur unnötig verlängern. Joan und Gweneth gingen zu ihm in die Klinik und stimmten zu. Bald fiel Feynman ins Koma, aus dem er noch einmal kurz erwachte und seine letzten Worte sprach: „Dieses Sterben ist langweilig.“
Feynman starb am späten Abend des 15. Februar 1988 im Alter von 69 Jahren. Gweneth, die ebenfalls seit langem an Krebs erkrankt war, folgte ihm am 31. Dezember 1989 − sie wurde nur 55 Jahre alt. Begraben wurden sie beide zusammen auf dem Mountain View Friedhof in Altadena, Kalifornien. Nur eine unscheinbare kleine Gedenktafel markiert im Boden ihr Grab. Auf ihr steht der schlichte Text:
last modified on 15 October 2017