Wir hatten uns im Kapitel über die Poincare-Gruppe bereits einmal mit der Geschwindigkeit befasst. Fassen wir die dortige Argumentation noch einmal zusammen:
Eine geradlinig gleichförmige Bewegung kann im vierdimensionalen Minkowskiraum durch eine Gerade der Form
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dargestellt werden.
Dabei sind x = (ct,x) , a = (a0,a) und b = (b0,b) vierdimensionale Vektoren (Vierervektoren) und s ist der reelle Kurvenparameter.
Die Geschwindigkeit dieser Bewegung kann man ermitteln, indem man zwei Parameterwerte s1 und s2 betrachtet, die zwei verschiedenen Punkten auf der Geraden entsprechen. Die Geschwindigkeit ist nun gegeben durch den Bruch aus dem räumlichen Abstand dividiert durch den zeitlichen Abstand zwischen diesen beiden Raum-Zeit-Punkten. Als Ergebnis erhält man
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Die Geschwindigkeit ist also gegeben durch den Bruch aus dem räumlichen Anteil von b (also dem dreidimensionalen Vektor b), dividiert durch den zeitlichen Anteil von b (also der Komponente b0), multipliziert mit der Lichtgeschwindigkeit c.
Die Poincaretransformation
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macht aus der Geraden x = a + b s die Gerade
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Die neue Geschwindigkeit ist also gegeben durch den Bruch aus dem räumlichen Anteil von L b , dividiert durch den zeitlichen Anteil von L b , multipliziert mit c.
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Wir wollen uns nun die Frage stellen: Wie verhält sich die Geschwindigkeit bei einem Boost?
Im Grunde wird die Antwort durch die obige Formel bereits gegeben. Wir müssen diese Gleichung nur noch in eine besser interpretierbare Form bringen. Dazu wählen wir zunächst eine spezielle Parametrisierung für die Gerade x = a + b s , nämlich
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Der Parameter s ist dann (bis auf eine additive Konstante) gleich der Zeit t.
Berechnen wir nun die Wirkung einer Boostmatrix Lb auf b (der Index b bei der Boostmatrix steht für Boost und hat nichts mit dem Vektor b zu tun):
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Dabei ist u = ue (mit u < 1)) die Boostgeschwindigkeit und g = Ö[(1/(1-u2))] . Die Boostgeschwindigkeit u gibt die Geschwindigkeit (dividiert durch die Lichtgeschwindigkeit) an, die ein zuvor ruhender Körper nach dem Boost aufweist. Allgemein erhalten wir damit für die Geschwindigkeit nach dem Boost:
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Das ist eine relativ komplizierte Formel! Sie ist ganz anders als die entsprechende Formel für Galileiboosts, bei der sich Geschwindigkeit und Boostgeschwindigkeit einfach vektoriell zu der neuen Geschwindigkeit addiert haben. Anders als in der nichtrelativistischen Theorie besitzt die Geschwindigkeit in der relativistischen Theorie ein kompliziertes Transformationsverhalten.
Um mit der Formel etwas vertrauter zu werden, wollen wir einige Spezialfälle betrachten.
Fall 1: Boost eines ruhenden Teilchens
Setzen wir also v = 0 in die obige Formel ein. Dann ist
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Das haben wir auch nicht anders erwartet, denn genau diese Bedeutung sollte die Boostgeschwindigkeit u ja haben.
Fall 2: Boost in Flugrichtung
Für einen Boost in Flugrichtung sind u und v parallel, d.h. u = ue und v = ve . Für die Geschwindigkeit nach dem Boost ergibt sich damit
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Wenn das Teilchen vor dem Boost in Ruhe ist (also v = 0 ), so ist nach dem Boost wieder vneu = c uc/c = c u . Das kennen wir bereits. Das andere Extrem ist, dass sich das Teilchen vor dem Boost bereits mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, also v = c . In diesem Fall ist vneu = c (uc+c)/(uc+c) = c . Auch das haben wir nicht anders erwartet: ein Boost ändert die Geschwindigkeit eines Teilchens, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, nicht. Ein solches Teilchen kann nicht schneller gemacht werden!
Fall 3: Boost senkrecht zur Flugrichtung
In diesem Fall ist u v = 0 und e v = 0 , so dass wir für die Geschwindigkeit nach dem Boost die folgende Beziehung haben:
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mit g = Ö[(1/(1-u2))] . Bei zunehmender Boostgeschwindigkeit u wächst also die Geschwindigkeitskomponente in Boostrichtung linear mit u an, während die Geschwindigkeitskomponente in der ursprünglichen Flugrichtung kleiner wird! Das gibt es so in der nichtrelativistischen Physik nicht.
Da die Geschwindigkeit in der Relativitätstheorie ein recht kompliziertes Transformationsverhalten hat, ist es für die Formulierung physikalischer Gesetze häufig sinnvoll, nicht direkt die Geschwindigkeit zu verwenden, sondern eine andere Größe, die eindeutig von der Geschwindigkeit abhängt, die aber ein einfacheres Transformationsverhalten aufweist.
Betrachten wir dazu den Vierervektor b, den wir oben bereits zur Formulierung einer geradlinig-gleichförmigen Bewegung verwendet haben. Eine solche Bewegung hatten wir durch die Gerade x = a + b s dargestellt. Wir hatten von dem Parameter s dabei gefordert, dass er sich bei Poincaretransformationen nicht ändert. Die Poincaretransformation f(x) = L x + d bildet dann diese Gerade auf die neue Gerade x = (L a+d) + (L b) s ab. Aus dem Vektor b wird also einfach der neue Vektor L b, d.h. das Transformationsverhalten von b ist relativ einfach.
Andererseits hängt der Vektor b mit der Geschwindigkeit zusammen über die Formel v = c b/b0 . Der Vektor b wird durch die Geschwindigkeit v dabei nicht eindeutig festgelegt, denn man kann b mit einer reellen Zahl multiplizieren, ohne dass sich v dabei ändert.
Wie kann man nun die Beziehung zwischen b und v eindeutig machen? Man müsste eine Normierung für b festlegen, die ausschließt, dass man b mit einer reellen Zahl multiplizieren darf. Weiterhin wollen wir, dass diese Normierungsbedingung nicht nur für b, sondern auch für L b gilt, so dass die Poincaretransformation die Normierung nicht ändert.
Mit unserem bisherigen Wissen fällt es uns nicht schwer, eine solche Normierungsbedingung zu finden. Wir fordern einfach, dass g(b,b) einen festen Wert haben soll! Dabei ist g(b,b) = bTg b = (b0)2 - b2 die uns bereits gut bekannte Minkowski-Metrik.
Die Forderung g(b,b) = const ist invariant unter Poincaretransformationen, d.h. g(b,b) = g(L b, L b) . Außerdem verhindert diese Bedingung, dass man b mit einer reellen Zahl (nennen wir sie a) multiplizieren darf, denn das würde die Metrik ändern: g(ab, ab) = a2 g(b,b) . Allerdings ist dieses Argument für g(b,b) = 0 nicht richtig, denn dann könnte man b immer noch mit einer Zahl multiplizieren. Dieser Fall benötigt also wie immer eine separate Betrachtung.
Wir wollen nun festlegen, wie wir b normieren wollen, also welchen konstanten Wert g(b,b) haben soll. Dabei müssen wir allerdings etwas aufpassen, denn nicht jeder Wert von g(b,b) ist erlaubt. Überlegen wir also, welchen Einschränkungen b unterworfen ist: Damit die Zeit bei wachsendem s ebenfalls anwächst, wollen wir zunächst b0 > 0 fordern. Dies ist einfach nur eine spezielle Wahl für die Parametrisierung, also nichts besonderes. Weiterhin darf die Bewegung maximal mit Lichtgeschwindigkeit erfolgen. Es war v = c b/b0 , so dass diese Forderung als v2 = c2 b2/(b0)2 £ c2 geschrieben werden kann. Wir können diese Forderung weiter umformen zu (b0)2 - b2 = g(b,b) ³ 0 . Das Gleichheitszeichen gilt bei v = c .
Fassen wir zusammen:
Für Teilchen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, gilt g(b,b) = 0 .
Es ist interessant, dass man rein formal auch den Fall g(b,b) < 0 betrachten kann. Dies entspräche Teilchen, die sich immer mit mehr als Lichtgeschwindigkeit bewegen. Diese Teilchen werden durch die bisherige Argumentation nicht ausgeschlossen. Erst, wenn man das Prinzip von Ursache und Wirkung (das sogenannte Kausalitätsprinzip) mit hinzunimmt, muss man die Existenz solcher Teilchen ausschließen. Wir wollen das hier an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Den interssierten Leser möchte ich auf das Buch von Sexl und Urbandtke verweisen (siehe Anhang).
Für den Rest dieses Kapitels wollen wir uns auf den Fall v < c bzw. g(b,b) > 0 beschränken.
Wir können uns nun eine geeignete Normierung für g(b,b) aussuchen. Es bietet sich an, für die Normierung g(b,b) = c2 zu wählen, denn dann hat b die Dimension einer Geschwindigkeit. Es ist weiterhin üblich, statt b die Bezeichnung u zu verwenden, wenn die obige Normierung vorliegt. Übrigens ist u nicht zu verwechseln mit der Boostgeschwindigkeit, die wir ebenfalls mit u bezeichnet hatten. Der Vierervektor u mit g(u,u) = c2 und u0 > 0 wird auch als Vierergeschwindigkeit bezeichnet. Vorsicht bei dieser Bezeichnung: Die räumliche Geschwindigkeit ergibt sich aus der Vierergeschwindigkeit wie gehabt erst über die Formel v = c u/u0 (dabei haben wir bereits die neue Bezeichnung u statt b verwendet).
Den zu u zugehörigen Geradenparameter s wollen wir ebenfalls umbenennen und ihn mit dem Buchstaben t zu bezeichnen. Man nennt t auch die Eigenzeit. Die Eigenzeit wird bei Lorentztransformationen nicht verändert (dies hatten wir ja für den Parameter s bereits so vorausgesetzt).
Fassen wir zusammen:
Man kann eine geradlinig-gleichförmige Bewegung (mit v < c ) durch die Gerade
mit g(u,u) = c2 parametrisieren. u heißt Vierergeschwindigkeit und t heißt Eigenzeit der Bewegung. Bei einer Poincaretransformation f(x) = L x + d wird aus dieser Gerade die neue Gerade
L u ist die Vierergeschwindigkeit der neuen geradlinig-gleichförmigen Bewegung und erfüllt ebenfalls die Normierung g(L u, L u) = c2 . Wir haben damit einen Vierervektor gefunden, der ein einfaches Transformationsverhalten und eine einfache Normierung besitzt und der eindeutig mit der Geschwindigkeit zusammenhängt |
Bleibt noch zu klären, wie wir die Vierergeschwindigkeit u durch die Geschwindigkeit v ausdrücken können:
Es war v = c u/u0 . Diese Beziehung können wir nach u freistellen ( u = u0 v/c ) und in g(u,u) = (u0)2 - u2 = c2 einsetzen: (u0)2 - (u0 v/c)2 = c2 . Freistellen nach u0 liefert
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Wir hatten bereits b0 > 0 gefordert, damit die Zeit mit fortlaufendem Parameter s zunimmt. Entsprechend muss hier u0 > 0 sein ( u0 = 0 ist nach der obigen Formel sowieso ausgeschlossen), so dass wir die Wurzel eindeutig ziehen können.
Der Term auf der rechten Seite kommt uns von den Boosts her bereits recht bekannt vor. Es ist daher üblich, auch an dieser Stelle die Abkürzung g = Ö[(1/(1-(v/c)2))] zu verwenden, auch wenn hier nicht die Boostgeschwindigkeit steht. Damit ist u0 = g c . Wir können diese Formel für u0 nun in die Formel u = u0 v/c einsetzen mit dem Ergebnis u = g v . Zusammengefasst lautet der Zusammenhang zwischen u und v also
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Dieser Zusammenhang ist eindeutig, d.h. zu jeder Geschwindigkeit v lässt sich eindeutig genau eine Vierergeschwindigkeit u (mit g(u,u) = c2 und u0 > 0 ) angeben und umgekehrt.
Kommen wir zur Eigenzeit t. Wie sieht der Zusammenhang mit der Zeit t aus?
Schauen wir uns dazu die Geradengleichung an: x = a + u t . Die Zeitkomponente dieser Gleichung lautet: x0 = a0 + u0 t . Mit x0 = ct und u0 = g c folgt: ct = a0 + g c t . Man kann diesen Zusammenhang auch differentiell schreiben als
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Im Ruhesystem des Körpers ist daher dt = dτ , oder anders gesagt: Fliegt man mit dem Körper mit, so ist die Eiegnzeit identisch mit der im Bezugssystem ablaufenden Zeit. Wir werden weiter unten noch einmal auf die physikalische Bedeutung dieser Gleichung zurückkommen.
Bisher haben wir nur geradlinig-gleichförmige Bewegungen betrachtet. Versuchen wir nun, die Definition von Vierergeschwindigkeit und Eigenzeit auf eine allgemeine (nicht unbedingt geradlinig-gleichförmige) Bewegung zu verallgemeinern.
Eine solche Bewegung wollen wir durch die Gleichung x = X(s) mit x = (ct,x) darstellen, also durch eine Kurve in der vierdimensionalen Raumzeit mit dem Kurvenparameter s. Die Funktion X ordnet also jedem Parameterwert s einen Raum-Zeit-Vektor x zu. Dabei haben wir den Funktionswert x und die Funktion X diesmal sorgfältig unterschieden, da es sonst schnell zu Verwirrungen kommt. Natürlich soll die Funktion X beliebig oft differenzierbar sein.
Damit das Teilchen nicht rückwärts in der Zeit oder mit Überlichtgeschwindigkeit fliegt, muss die Funktion X gewisse Bedingungen erfüllen. Diese Bedingungen können wir aus dem, was wir über geradlinig-gleichförmige Bewegungen bereits wissen, ableiten. Wir können nämlich in der Nähe eines beliebigen Parameterwertes s0 die Bewegung durch eine geradlinig-gleichförmige Bewegung annähern:
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mit R(s0) = 0 und d/ds R(s0) = 0 . Die Funktion R gibt die Abweichung von der geradlinig-gleichförmigen Bewegung an, die sich aber erst mit zunehmendem s bemerkbar macht.
Wir hatten bisher eine geradlinig-gleichförmige Bewegung durch die Gerade x = a + b s dargestellt. Vergleichen wir diese Gerade mit der obigen Formel für X(s0+s) , so sehen wir, dass dX(s0)/ds die Rolle des Vektors b übernimmt.
Die Geschwindigkeit v zur Zeit t0 = X0(s0)/c
(also zu der Zeit, die dem
Parameterwert s0 entspricht), ist also gegeben durch
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Die Bedingungen, die für b gelten, müssen wir auch für dX(s0)/ds fordern. Für ein Teilchen, dass sich mit v < c bewegt, muss also gelten:
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Die Funktion X ist allerdings durch die Form der Kurve in Raum und Zeit nicht eindeutig festgelegt. Es gibt verschiedene Funktionen X , die die gleiche Raum-Zeit-Kurve ergeben und damit den gleichen Zusammenhang zwischen Raumpunkten und Zeitangaben herstellen. Genau das haben wir auch bei der geradlinig-gleichförmigen Bewegung bereits beobachtet: in der Gleichung x = a + b s führen verschiedene Vektoren b zur gleichen Raum-Zeit-Geraden. Man sagt, es gibt verschiedene Parametrisierungen für die gleiche Kurve.
Mathematisch präzise kann man das so ausdrücken:
Wir definieren einen neuen Parameter s¢ über eine monotone umkehrbare Funktion f
aus dem Parameter s , also s¢ = f(s) .
Nun definieren wir eine neue Funktion Y durch die Gleichung
x = X(s) = Y(s¢) = Y(f(s))
oder anders ausgedrückt X = Y Ä f (d.h. f verändert den Parameter und
die Funktion Y
ist gerade so definiert, dass sie für diesen neuen Parameter den gleichen
Raum-Zeit-Punkt x ergibt wie die Funktion X für den alten Parameter).
Man nennt so etwas eine Umparametrisierung der Kurve.
Wir können nun eine ganz bestimmte Parametrisierung für die Kurve wählen. Wir wollen die Funktion X gerade so wählen, dass g(dX(s0)/ds, dX(s0)/ds) = c2 ist. Den Parameter wollen wir dann analog zu oben mit dem Buchstaben t bezeichnen. Wir nennen ihn wieder die Eigenzeit der Bewegung. Analog bezeichnen wir
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als die Vierergeschwindigkeit der Bewegung, denn es ist ja g(u,u) = c2 (so sollte die Funktion X ja gerade beschaffen sein). Die Vierergeschwindigkeit u und die Geschwindigkeit v hängen wieder wie oben bereits angegeben zusammen.
Betrachten wir noch einmal die Eigenzeit t etwas genauer.
Man findet in der physikalischen Literatur häufig die Formel
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Zunächst einmal wird hier die Einsteinsche Summenkonvention verwendet,
d.h. dxm dxm = g(dx,dx) . Was aber ist dx ?
Gemeint ist ein Linienelement entlang der Kurve, also
dx = [dX(s)/ds] ds (dabei haben wir zunächst noch keinerlei Einschränkungen
an die Parametrisierung von X gemacht). Damit hätten wir
dxm dxm = g(dX(s)/ds, dX(s)/ds) (ds)2
= (c dt)2
Wir wollen die Voraussetzung dt/ds > 0 machen, d.h. die verschiedenen
Parametrisierungen sollen alle die Kurve in der gleichen Richtung durchlaufen.
Wir können dann die Wurzel ziehen und formal durch ds teilen. Das Ergebnis lautet
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Genau das ist mit der Formel dxm dxm = (c dt)2 gemeint!
Die obige Formel ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Es steckt lediglich die Kettenregel für das Differenzieren dahinter sowie die Festlegung der Parametrisierung mit t durch die Bedingung, dass die Metrik für die Tangentialvektoren gleich c2 sein soll. Mit Hilfe der Kettenregel können wir die Formel leicht herleiten. Dazu betrachten wir zwei Parametrisierungen X und Y für die Kurve mit X(s) = Y(t) und t = f(s) sowie g(dY/dt, dY/dt) = c2 (der Genauigkeit halber haben wir hier zwei verschiedene Buchstaben X und Y verwendet, um die beiden Parametrisierungen voneinander unterscheiden zu können). Leiten wir X(s) = Y(t) nach s ab, so ist nach der Kettenregel
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oder abgekürzt dX/ds = (dY/dt) (dt/ds) . Für die Metrik der Tangentialvektoren ergibt sich dann
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Ziehen der Wurzel ergibt unsere obige Formel.
Was aber sagt uns die Formel?
Zunächst einmal stellt sie den Zusammenhang her zwischen einer beliebigen Parametrisierung (mit dem Parameter s) und der speziellen Parametrisierung durch den Parameter t. Man kann eine beliebige Parametrisierung vorgeben und mit Hilfe der obigen Gleichung ausrechnen, wie der Parameter t mit dem Parameter s zusammenhängt. In diesem Sinne definiert die obige Gleichung die spezielle Parametrisierung der Kurve durch t.
Wenn wir die beliebige Parametrisierung gleich unserer speziellen Parametrisierung wählen (also s = t und X = Y setzen), so liefert die Formel nach Quadrieren die Gleichung c2 = g(dX(t)/dt, dX(t)/dt) . Das kennen wir bereits! Es war die Bedingung an die spezielle Parametrisierung mit t und somit gleichzeitig die Definition für die Eigenzeit.
Man kann die obige Gleichung auch verwenden, um den Zusammenhang zwischen der Eigenzeit t und der Zeit t abzuleiten. Dazu wählen wir die spezielle Parametrisierung
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d.h. s = t . Dann ist g(dX(s)/ds, dX(s)/ds) = (d(ct)/dt)2 - (dX(t)/dt)2 = c2 - v2 und somit
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Diese Gleichung (genauer den Kehrwert dieser Gleichung) hatten wir oben bereits für die geradlinig-gleichförmige Bewegung abgeleitet.
Kann man die Eigenzeit physikalisch interpretieren? Hat sie eine unmittelbare physikalische Bedeutung?
Wir hatten diese Frage oben bereits beantwortet und wollen sie noch einmal unter einem anderen Blickwinkel betrachten. Gehen wir dazu von einem ruhenden Objekt am Ort x = 0 aus. Am Ort dieses Objekt soll zur Zeit t1 = 0 ein Ereignis A1 geschehen. Zu einer späteren Zeit t2 = t soll ein weiteres Ereignis A2 geschehen. Das Objekt könnte z.B. eine Uhr sein, die zur Zeit t1 = 0 einmal tickt und zur Zeit t2 = t ein zweites mal tickt. Das Ticken der Uhr sind dann die beiden Ereignisse. Wir können diese beiden Ereignisse durch zwei Vierervektoren x1 = (0, 0) = 0 und x2 = (ct, 0) =: x in der vierdimensionalen Raumzeit darstellen. Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Ereignissen ist t2 - t1 = t .
Nun lassen wir einen Boost auf Raum und Zeit wirken, d.h. wir versetzen die Uhr in gleichförmige Bewegung mit der Boostgeschwindigkeit v = U c und vergleichen sie mit einer gleichartigen unbewegten Uhr. Die Boostgeschwindigkeit haben wir diesmal mit einem großen Buchstaben bezeichnet, um sie nicht mit der Vierergeschwindigkeit zu verwechseln. Die beiden Ereignisvektoren x1 = 0 und x2 = x werden durch den Boost abgebildet auf den Vektor Lb x1 und den Vektor Lb x2 . Diese beiden neuen Vektoren geben Zeit und Ort des ersten und des zweiten Tickens der bewegten Uhr an. Rechnen wir sie daher aus: Für das erste Ticken ist die Sache einfach: es ist Lb x1 = 0 . So haben wir die Situation auch konstruiert: Die bewegte und die unbewegte Uhr treffen sich zur Zeit Null im Nullpunkt des Koordinatensystems und geben dort synchron ihr erstes Ticken von sich. Beim zweiten Ticken wird die Sache schon interessanter:
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Beim zweiten Ticken befindet sich die bewegte Uhr demnach am Ort gUct = gv t , und die Zeit, zu der das zweite Ticken stattfindet, ist gt . Zwischen dem ersten Ticken und dem zweiten Ticken liegt bei der bewegten Uhr also eine größere Zeitspanne als vorher bei der unbewegten Uhr. Die Zeitspanne hat sich um den Faktor g = Ö[(1/(1 - U2))] = Ö[(1/(1 - (v/c)2))] verlängert! Das ist die berühmte Zeitdilatation der speziellen Relativitätstheorie!
Wenn wir akzeptieren, dass die Poincaretransformationen Symmetrien der Natur sind, so sagen wir damit, dass das Verhalten einer tickenden Uhr, die ruht, und derselben Uhr, die sich bewegt, durch Poincaretransformationen auseinander hervorgehen. Eine sich bewegende Uhr tickt langsamer als eine ruhende Uhr! Die Experimente haben diese Vorhersage tatsächlich bestätigt: die Natur verhält sich wirklich so! So hat lebt beispielsweise ein instabiles Elementarteilchen in Durchschnitt umso länger, je schneller es sich bewegt.
Was hat das nun mit der Eigenzeit zu tun?
Betrachten wir die sich bewegende Uhr. Ihren Flug können wir durch die
Bahnkurve
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Nun sehen wir den Zusammenhang zur Zeitdilatation: Zur Eigenzeit t1 = 0 befindet sich die Uhr in x = 0 . Hier erfolgt das erste Ticken. Zur Eigenzeit t2 = t haben wir die Zeit g t , und die Uhr befindet sich am Ort g v t . Zu dieser Zeit und an diesem Ort findet das zweite Ticken statt, wie wir aus der obigen Diskussion der Zeitdilatation wissen. Zwischen dem ersten und dem zweiten Ticken der bewegten Uhr vergeht also die Eigenzeit t2 - t1 = t . Dies ist genau die Zeitspanne, die bei der unbewegten Uhr zwischen den beiden Ereignissen vergeht. Anders interpretiert: diese Zeit vergeht, wenn man mit der Uhr mitfliegt und somit die Uhr als unbewegt ansieht (dies ist die sogenannte passive Interpretation der Poincaretransformation). Die Eigenzeit ist gleichsam die Zeit, die die Uhr bzw. das sich bewegende Objekt empfindet. Das erklärt auch den Begriff Eigenzeit.
last modified on 12 October 2006