Kapitel 5
Die allgemeine Relativitätstheorie
1 Gekrümmte Räume (über die Grundlagen der Differentialgeometrie)
2 Topologische Räume
Wenn wir von allgemeinen gekrümmten Räumen reden wollen,
so müssen wir zunächst klären, was wir unter einem allgemeinen
Raum verstehen wollen. Die Anschauung zwei- und dreidimensionaler Räume soll uns dabei
zwar leiten, aber wir wollen uns eine allgemeinere Grundlage schaffen,
um die Begriffe später auf möglichst viele mathematisch denkbare Objekte
anwenden zu können. Daher wollen wir zunächst nur auf grundlegende Begriffe
zurückgreifen, wie sie in der Mengenlehre, den daraus konstruierbaren reellen Zahlen
sowie den daraus konstruierbaren Abbildungen und Funktionen vorkommen
(siehe Die Grenzen der Berechenbarkeit
Kapitel 4: Die Fundamente der Mathematik ).
Wir beginnen also mit irgendeiner Menge (nennen wir sie M) von Objekten, wobei wir (noch)
keine weiteren Voraussetzungen über die Struktur dieser Menge machen wollen.
Die Menge darf dabei auch unendlich viele Objekte enthalten.
Die Objekte werden wir im Folgenden auch oft als Punkte bezeichnen -- dies ist
zunächst einfach nur ein anderes Wort für Objekt. Ein Punkt muss daher später
nicht unbedingt im anschaulichen Sinn ein Punkt sein, sondern es könnte auch ein anderes
mathematisches Objekt (z.B. eine Funktion) sein. Analog werden wir die Menge
auch als Raum bezeichnen, was ebenfalls zunächst nur ein anderes Wort ist
und nichts mit dem anschaulichen Raumbegriff zu tun haben muss.
So darf der Raum in der Quantenmechanik
beispielsweise auch ein unendlichdimensionaler Hilbertraum sein.
Um eine Art von Geometrie in diesem Raum betreiben zu können,
müssen wir nun schrittweise die Möglichkeit fordern, weiterer Strukturen
auf dem Raum definieren zu können.
Nicht jede Menge von Objekten eignet sich also dazu, mit ihr Geometrie zu betreiben.
Als erstes wollen wir fordern, dass auf dem Raum eine Topologie
definiert werden kann. Das entspricht der anschaulichen Vorstellung,
dass wir von Zusammenhängen und Beziehungen zwischen den Punkten des Raums
reden wollen, beispielsweise von der Umgebung eines Punktes.
Wir wollen von Stetigkeit (engl.: continuity) reden können, ohne
gleich Begriffe wie Abstand oder Differenzierbarkeit (Glattheit)
einführen zu müssen -- das kommt dann später.
Die mathematische Begriffsbildung, die solche Vorstellungen konkretisiert,
ist folgende:
Um über Zusammenhänge zwischen Punkten sprechen zu können, müssen
sich Mengen definieren lassen, die diese Zusammenhänge darstellen und die die Punkte
entsprechend zusammenfassen.
Wir brauchen also Teilmengen des Raumes M. Dabei wollen wir aber nicht beliebige
Teilmengen zulassen, sondern die Ansammlung aller Teilmengen, die unsere topologische Struktur
definiert, soll bestimmte Eigenschaften haben.
Nennen wir diese Teilmengen-Ansammlung T (für Topologie) --
mathematisch ist T eine Teilmenge der Potenzmenge unseres Raums M.
Dann sollen T die folgenden Eigenschaften haben:
-
Die leere Menge soll zu T gehören.
-
Die Vereinigungsmenge von beliebigen (auch unendlich vielen) Mengen aus T gehört auch zu T.
-
Die Schnittmenge von je zwei Mengen aus T gehört auch zu T.
Warum fordert man diese Bedingungen?
Sie erlauben es, Objekte in Teilmengen aus T einzuordnen,
aber auch diese Einordnungen zu kombinieren und dafür wieder
passende Mengen in T vorzufinden.
Wie weit der Topologiebegriff trägt, ist an dieser Stelle noch schwer
abzuschätzen. Zumindest ist klar, dass die obigen Forderungen
sehr allgemein sind, so dass sie sich praktisch in jedem Raum
umsetzen lassen. Es sollte immer möglich sein,
auf einer Menge eine Topologie zu definieren, also ein System von Teilmengen
mit den obigen Eigenschaften aufzustellen. Meist sind sogar verschiedene
Topologien auf einem Raum möglich.
Und nun kommen zwei ganz zentrale topologische Begriffe:
-
offene Mengen:
Die Teilmengen in T bezeichnen wir als offene Mengen.
Das Komplement einer offenen Menge (also die Menge aller Punkte des betrachteten Raums,
die nicht in der gegebenen offenen Menge sind)
bezeichnen wir als abgeschlossene Menge.
Eine offene Menge gehört also zu T, eine abgeschlossene Menge dagegen nicht.
Aber: Es gibt auch Mengen, die weder offen noch abgeschlossen sind.
Diese Mengen gehören nicht zu T, sind aber auch nicht das Komplement einer
Menge aus T.
Die Begriffe offen und abgeschlossen beziehen sich immer
auf eine gegebene Topologie des Raums. Dasselbe gilt für den folgenden Begriff:
-
Umgebung eines Punktes:
Eine Umgebung U(p) eines Punktes p ist eine beliebige Menge,
die als Untermenge eine offene Menge enthält, welche den Punkt p enthält.
Insbesondere sind alle offenen Mengen, die p enthalten, zugleich auch Umgebungen von p.
In wieweit dieser sehr allgemeine Umgebungsbegriff unseren anschaulichen Begriff
von der Umgebung eines Punktes in einem Raum wiederspiegelt,
müssen wir noch sehen. Das wird sicher von dem betrachteten Raum und
der darauf definierten Topologie abhängen. Es mag dabei sicher auch Fälle geben,
in denen dieser Umgebungsbegriff ganz andere Anwendungen erlaubt, als wir zunächst
vorgesehen haben.
Betrachten wir einige Beispiele, um ein Gefühl für diese Begriffe zu bekommen:
-
triviale Topologie:
Man kann auf jeder Menge die sogenannte triviale Topologie definieren.
Die einzigen beiden Teilmengen in T sind dabei die leere Menge sowie die
komplette Menge. Da sich keine anderen Mengen durch Vereinigung oder Schnittmengenbildung
aus diesen beiden Mengen bilden lassen, ist damit T bereits komplett
und erfüllt alle Bedingungen, die wir an eine Topologie gestellt haben.
Sehr nützlich ist die triviale Topologie aber zumeist nicht, denn sie erlaubt keine komplexeren
Strukturen. Alle Punkte des Raumes kleben gleichsam zusammen und lassen sich
durch diese Topologie nicht unterscheiden (zwei Punkte gelten als topologisch nicht
unterscheidbar, wenn sie dieselben Mengen als Umgebungen besitzen).
-
diskrete Topologie:
Man kann auf jeder Menge die sogenannte diskrete Topologie definieren.
Dazu nimmt man einfach jede Teilmenge des Raumes in T auf, d.h. jede Teilmenge
ist offen und gehört zur topologischen Mengensammlung T.
Auch diese Definition erfüllt alle Kriterien, die wir an eine Topologie gestellt haben.
Man verwendet die diskrete Topologie gerne auf Mengen, die keine anderen natürlichen
Topologien erlauben. Sinnvoll ist die diskrete Topologie beispielsweise
auf sogenannten diskreten Gruppen, die neben der Gruppenstruktur
keine anderen Strukturen aufweisen. Die diskrete Topologie erlaubt es, jeden Punkt
von jedem anderen topologisch zu unterscheiden.
-
T0 -Topologie (Kolmogorov-Topologie):
Auf vielen Mengen (Räumen) gelingt es, eine Topologie so zu definieren,
dass sie die folgende Eigenschaft hat:
Zu zwei beliebigen verschiedenen Punkten gibt es eine
offene Teilmenge des Raums, die einen der beiden Punkte enthält,
aber nicht den anderen Punkt (wobei man nicht unbedingt weiß, welcher
Punkt drin ist und welcher nicht).
Räume mit dieser Topologie bezeichnet man
als T0 -Räume oder auch als Kolmogorov-Räume.
Fast jeder mathematisch interessante Raum lässt sich mit dieser
Topologie versehen.
-
T1 -Topologie:
Eine Verschärfung der obigen Bedingung für die T0 -Topologie
führt zur T1 -Topologie, die die
folgende Eigenschaft hat:
Zu zwei beliebigen verschiedenen Punkten p und q gibt es zwei
offene Teilmengen P und Q des Raums, bei denen P den Punkt p und nicht den Punkt q enthält
und umgekehrt.
Der Unterschied zur T0 -Topologie ist, dass
man hier weiß, welcher Punkt in welcher der beiden offenen Mengen
liegt und welcher nicht.
-
T2 -Topologie (Hausdorff-Topologie):
Eine weitere Verschärfung der obigen Bedingung für die T1 -Topologie
führt zur Hausdorff-Topologie, in der gilt:
Zu zwei beliebigen verschiedenen Punkten p und q gibt es jeweils eine
Umgebung U(p) und U(q), die sich nicht überschneiden (deren Schnittmenge also leer ist).
Die beiden Punkte lassen sich also aufgrund ihrer Umgebungen unterscheiden.
Fast alle in der Analysis verwendeten Räume haben diese Eigenschaft, insbesondere
die reellen Zahlen sowie alle metrischen Räume (Details kommen gleich).
-
Metrische Räume:
Metrische Räume zeichnen sich dadurch aus, dass bei ihnen
zu je zwei Punkten p und q ein Abstand d(p,q) zwischen diesen Punkten definiert ist, d.h.
eine reellwertige Funktion mit den folgenden Eigenschaften:
-
Der Abstand zweier Punkte ist immer größer oder gleich Null.
Dabei ist er genau dann gleich Null, wenn die beiden Punkte
identisch sind, d.h. verschiedene Punkte haben immer einen
positiven Abstand.
-
Der Abstand hängt nicht von der Reihenfolge ab, in der die beiden
Punkte genannt werden. Hin- und Rückweg sind also gleich lang: d(p,q) = d(q,p)
-
Der Abstand zwischen zwei Punkten p und q ist immer kleiner oder gleich
dem Abstand von p zu einem dritten Punkt r plus dem Abstand von diesem
Punkt r zum Punkt q (Dreiecksungleichung):
d(p,q) ≤ d(p,r) + d(r,q) .
Wenn man also einen Umweg über Punkt r macht, so ist dieser Umweg
mindestens so weit wie der direkte Weg zwischen p und q.
In der zweidimensionalen
Ebene bedeutet das: zwei Dreiecksseiten sind zusammen immer mindestens
so lang wie die dritte Dreiecksseite.
In metrischen Räumen kann man immer mit Hilfe der Abstandsfunktion
die folgende Topologie festlegen:
Man definiert einfach zu jedem Punkt p des Raumes M und jeder
positiven reellen Zahl r die Menge B(p,r) aller Punkte,
deren Abstand von p kleiner als (nicht aber gleich) r sind:
B(p,r) := { q aus M mit d(q,p) < r
(r aus R und p aus M vorgegeben) }
Im euklidischen Raum entspricht B(p,r) einer Kugel um p mit Radius r,
aber ohne die Kugeloberfläche.
Die Topologie-Mengen (d.h. die offenen Mengen) sind nun gegeben
durch die Teilmengen des Raumes, die sich aus (endlich oder unendlich vielen)
Mengen B(p,r) (mit verschiedenen p und r) zusammensetzen lassen.
Anschaulich gesprochen haben diese offenen Mengen keinen Rand.
Im n-dimensionalen reellen Raum Rn erhält
man mit der euklidischen Abstandsfunktion so die dort übliche
Definition offener Mengen, die wir weiter unten bei der Definition
der Mannigfaltigkeiten noch brauchen.
Man könnte diese Liste noch sehr viel weiter fortsetzen und so eine komplette
Klassifikation der topologischen Räume aufstellen.
Das würde jedoch hier zu weit führen -- wir werden die entsprechenden Begriffe
lieber dann erklären, wenn sie benötigt werden.
Ein Hauptzweck für die Einführung einer topologischen Struktur
besteht darin, den Begriff der Stetigkeit definieren zu können:
-
Stetigkeit:
Wir betrachten eine Funktion f, die einen topologischen Raum
M1 auf einen zweiten topologischen Raum
M2 abbildet. Wir bezeichnen f als stetig,
wenn es zu jeder offenen Teilmenge V aus dem Wertebereich von f
in M2 eine
offene Urbildmenge U aus dem Definitionsbereich von f in M1 gibt, so dass
f(U) = V ist.
Die Urbilder offener Mengen müssen also offene Mengen sein.
Ein Beispiel: Für M1 = M2 = R mit der üblichen
Intervall-Topologie (gegeben durch B(p,r), siehe etwas weiter oben) erhält man so die
übliche ε-δ-Definition der Stetigkeit (den Beweis überspringen wir hier).
Die Definition der Stetigkeit über offene Mengen hat aber den Vorteil, dass man keine
Abstandsfunktion voraussetzen muss. Eine Topologie genügt bereits.
Literatur zu dem Thema:
-
Eine gute Einführung in die allgemeine Relativitätstheorie,
Differentialgeometrie und Topologie findet man unter
http://theory.gsi.de/~vanhees/faq/gravitation/node1.html
-
Ausführliche und gut verständliche Informationen zu allen hier dargestellten
Themen findet man in der freien Wikipedia-Online-Enzyklopädie unter
http://www.wikipedia.org .
-
Das folgende Vorlesungsskript gibt eine sehr gut lesbare
Einführung in die Differentialgeometrie mit vielen interessanten
Kommentaren und Nebenbemerkungen, die das Verständnis erleichtern:
Matt Visser: Math 464: Notes on differential geometry,
Victoria University of Wellington, New Zealand, 2004,
http://www.mcs.vuw.ac.nz/courses/MATH464/2004T1/Lecture-Notes/notes.ps
-
Ein kurzes Skript zur Differentialgeometrie mit vielen schönen Bildern:
http://www-user.tu-chemnitz.de/~wend/Skripte/diffmfgk.pdf
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last modified
on 09 June 2004